Realität vs. Internet

Getippte Amokläufe: Was wir dagegen tun sollten.

AmoklaufJeden Tag bin ich stundenlang im Internet und damit natürlich auch in Social Media unterwegs – denn dort sind mein Arbeitsplatz und meine Spielwiese angesiedelt. Die sozialen Netzwerke sind fester Bestandteil meines privaten und beruflichen Lebens. “Mein” Internet ist eine nie versiegende Wissensquelle, ein Ort, an dem ich spannenden Menschen begegne und an dem ich viel erfahre über die Welt und die Dinge, die in ihr vorgehen. Und “mein” Internet hat Platz für ganz viele verschiedene Menschen mit unterschiedlichen Vorlieben und Stilen. In “meinem” Internet streiten sich Leute auch mal und diskutieren hart an der Sache. Sie sehen: “Mein” Internet ist so abwechslungsreich, wie das Leben eben ist. Eigentlich ist nur eins gleich: “Mein” Internet agiert fast immer respektvoll und sehr oft freundlich und hilfsbereit.

Wenn ich dann aber über den Rand meiner Filterblase schaue, erlebe ich Menschen, die aggressiv, verletzend oder sogar verleumdend im Internet handeln: Da werden auf den Fanpages großer Tageszeitungen unter einem Beitrag über die schlimme Situation der syrischen Bürgerkriegsflüchtlinge neue Konzentrationslager für Asylbewerber gefordert – am besten natürlich gleich mit Gaskammer. Kinder werden von anderen Kindern so extrem gemobbt, dass die jungen Opfer tatsächlich Selbstmord als Ausweg aus dieser grässlichen Situation in Betracht ziehen. Frauen werden verbal aufs Übelste attackiert, weil sie sich zum Beispiel für Frauenrechte einsetzen. Und vollkommen empathiefrei werden Menschen unter der Gürtellinie beleidigt, die es gewagt haben, ein Vollkörperbild von sich zu posten, das nicht den Idealmaßen entspricht.*

Dissen, beleidigen und verleumden

Doch es kommt noch schlimmer: Beschwert sich dann die menschliche Zielscheibe des Hasses über dieses ekelhafte Verhalten oder zeigt sogar, dass sie oder er ernsthaft getroffen wurde von den gemachten Aussagen, so wird diese Person gleich mit viel Vergnügen weiter gedisst: Du “Opfer”, du “Weichei”, du “Hurensohn”, du “Mädchen”, du “fette Kuh”, du “Gutmensch”, du “Linksfaschist” …. Sie kennen all die Begriffe, die typisch sind für diese getippten Amokläufe.

Wenn ich derartige Postings lese, frage ich mich immer, wie diese Absender wohl in ihrem Alltag außerhalb des Internets agieren: Stehen diese Leute auch am Straßenrand und schreien, dass sie sofort den Führer mitsamt seiner Menschenvernichtungsmaschinerie und einem grauenhaften Weltkrieg wiederhaben wollen? Oder beleidigen sie an einer Supermarktkasse wahllos die Menschen in der Schlange, weil sie ein paar Kilo zu viel auf den Rippen haben? Sagen sie tatsächlich einer Frau direkt ins Gesicht, dass sie schon rein genetisch an den Herd gehört? Oder stellen sie sich vor die nächste Schule und empfehlen einem beliebigen Schüler Face to Face, doch bitte fix Selbstmord zu machen, weil seine Mutter ohnehin vergessen habe, ihn abzutreiben? Ich bin mir sicher, dass sie genau das nicht tun – denn wenn es so wäre, würden wir alle davon jeden Tag in der Zeitung lesen und die Gefängnisse wären übervoll. Oder dieses Verhalten wäre so Mainstream, dass es auch in meinem Leben tagtäglich vorkommen würde.

Aggressoren mit Klarnamen und Arbeitgebern

Was mich aber regelrecht verblüfft: Das alles geschieht oft aus Profilen heraus, die unter Klarnamen geführt werden und in denen zum Beispiel auf den Arbeitgeber verlinkt wird. Da werden die Fotos vom letzten Familienurlaub Seite an Seite mit der geballten verbalen Menschenverachtung präsentiert – natürlich alles öffentlich. Glauben diese Aggressoren tatsächlich, dass sie sich in einem rechtsfreien Raum bewegen? Dass sie niemand erkennen kann oder sie für ihre Aussagen rechtlich belangen wird? Dass sie im Internet machen können, was sie wollen?  Und sind diese Leute so wenig empathisch, dass sie sich nicht vorstellen können, dass die Buchstaben im Internet von anderen Menschen geschrieben und natürlich auch von Dritten gelesen werden? Oder ist es ihnen schlichtweg egal – oder finden sie das sogar geil, was sie tun?

Ich glaube, dass dieses Verhalten oft aus blanker Unwissenheit entspringt: Diese Menschen wissen nicht, dass sie auf einer Fanpage bei Facebook IMMER öffentlich posten. Diese Menschen wissen nicht, dass diese Postings manchmal sogar gegoogelt werden können – noch Wochen später. Diese Menschen wissen nicht, dass ihr Arbeitgeber oder ihre Nachbarn ihr privates Profil und damit ihre öffentlich geteilten Postings durchstöbern könnten – denn die Privatsphäre-Einstellungen nutzen sie nicht. Diese Menschen wissen nicht, dass ihr getippter Hass in vielen Fällen strafrechtlich relevant ist. Vielleicht wissen sie sogar nicht, dass am anderen Ende der Buchstabenkette auch immer Menschen mit Meinungen und Gefühlen sitzen!

Mehr Medienbildung muss her!

Woran das liegt, dass es so viele unwissende Menschen gibt? Ich denke, dass ein Grund die über weite Strecken bis heute fehlende Medienbildung ist. Kinder wachsen heute mit Tablet und Smartphone auf: Als Jugendliche können sie dann zwar mit ihrem Daumen blitzschnell Nachrichten ins Display hacken, aber sie wissen nicht, wie diese Nachricht sich genau im Internet verbreitet oder wie ein soziales Netzwerk im Detail funktioniert. Erwachsene melden sich bei Facebook an, ohne sich um die die vielen Funktionen und Einstellungsmöglichkeiten zu kümmern und ohne den Unterschied zwischen einem privaten Profil und einer öffentlichen Fanpage zu kennen. Diese Erwachsenen sind oft auch Eltern: Doch wie sollen solche Eltern ihren Kindern den richtigen Umgang mit Social Media erklären?

MaschinengewehrUnd ganz wichtig ist: Zur Medienbildung gehört natürlich auch die Herzensbildung dazu. Wir müssen endlich begreifen, dass wir mit getippten Worten genau so viel Schaden anrichten können wie mit gesprochenen. Dass man auch diskutieren kann, ohne mit der gewählten Sprache andere Menschen verbal zu erniedrigen. Dass man auch mal schweigen kann, wenn einem etwas nicht gefällt. Gleichzeitig müssen wir lernen, wie wir uns wehren können gegen die Aggressoren und Grenzen setzen: Welche Wege gibt es auf Facebook? Bei der Polizei? Oder vielleicht sogar Face to Face? Wie gehen wir am besten mit diesen Amokläufern um, die ihre Tastaturen wie ein tödliches Maschinengewehr benutzen? Ignorieren? Diskutieren? Zurückdissen? Ich habe leider auch keine allgemeingültige Antwort auf diese Fragen …

Schluss mit der Trennung zwischen On- und Offline-Leben!

Doch eins weiß ich genau: Wir müssen endlich damit aufhören zwischen “Internet” und “realem Leben” zu unterscheiden. Diese Trennung öffnet erst die Tür für den Hass, der Face to Face zurecht viel seltener Raum bekommt. Denn eins ist klar: Das Internet ist ein fester Bestandteil unseres Alltags, der nie wieder weggehen wird. Ein Bestandteil, der unser Privatleben und unser Berufsleben immer mehr bestimmen wird. Warum können wir uns verdammt noch mal online nicht genau so verhalten wie offline? Die meisten von uns haben doch gar keine Persönlichkeitsstörung im pathologischen Sinne. Also bitte, ihr Hater: Seid doch mal häufiger im Internet so, wie ihr bestimmt meistens in natura seid – freundlich, respektvoll und fair. Denn wir alle haben nur ein Leben. Ganz egal, ob es gerade online oder offline oder sogar in beiden Bereichen gleichzeitig stattfindet.

*Diese Beispiele habe ich mir nicht ausgedacht, sie sind wirklich passiert. Aber ich weigere mich, dorthin zu verlinken. Sie verstehen das bestimmt.

Bildquelle: Pixabay

Christa GoedeDie Autorin Christa Goede steckt viel Herzblut und noch mehr Expertenwissen in digitale Unternehmensauftritte: Mit individuellen Texten und Konzepten gestaltet sie Websites und Social Media-Auftritte authentisch. Ihre Erfahrung und ihr Wissen als Texterin, Konzepterin, Social Media-Managerin und Bloggerin teilt sie hier im Blog oder live in Workshops und Vorträgen.
Tel.: +49 (0) 160 – 94 44 19 34, E-Mail: mail@christagoede.de


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