Blogwichteln 2014

Serendipität = nicht nur Zufall. Ein Blogbeitrag von Alice Grünfelder.

Kennen Sie Blogwichteln? Bei dieser Spezialform des Wichtelns beschenken sich Blogger gegenseitig – eine ganz wunderbare Tradition! Im weltbesten Netzwerk Texttreff (TT) machen wir das schon seit einigen Jahren. In diesem Jahr durfte ich einen Beitrag für Dr. Katja Flinzner schreiben: Sie führt ein sehr interessantes “grenzüberschreitendes eCommerce-Blog”. Deshalb habe ich für sie einen Beitrag über neue Tools geschrieben, die Online-Shopping spannender und einfacher gestalten. Geschenkt bekam ich “zufällig” einen Wichtel-Blogbeitrag von der Textine, Lektorin und Literaturvermittlerin Alice Grünfelder.

Lesen Sie Alice’ kleine Abhandlung über den Zufall und die Kreativität. Über Sri Lanka und Strickwolle. Und über Fieberdelirium und Schreibwahn. Viel Vergnügen!

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WürfelAmerika wurde per Zufall entdeckt, Teebeutel und Nylonstrümpfe sind „zufällig“ erfunden worden, und die Erforschung Sri Lankas ist dem Serendipitätsprinzip zu verdanken, ja hat der Insel sogar ihren Namen gegeben. Ausgerechnet in Sri Lanka wurde Nicolas Bouvier krank, wo doch seine Asienreise ihn nach Japan führen sollte. Monatelang schwankte er im Fieberdelirium durch die Gassen der ehemaligen portugiesischen Festungsstadt Galle, später schrieb er in nur einer Nacht alles nieder, was ihm in den Sinn kam. Ein rhythmisches Prosagedicht, eine Sinnenorgie, ein Schluck Whiskey? Nein, nur bitterer Schwarztee. Ein Aufguss aller Phantasmen. Zehn Seiten voller Assoziationen im Schreibwahn. Pfusch? Jäh verflucht er sich weit nach Mitternacht, bald wird ihn die aufgehende Sonne erlösen. Da plötzlich merkt er nach zwanzig Seiten, dass er eine Mauer durchbrochen hat – in dieser Nacht gelang einem Schweizer Reiseschriftsteller per Serendip der Durchbruch zum Weltautor. Der Skorpionfisch war geboren.

Serendip ist, wenn einem etwas zu-fällt. Doch es fällt nur dann auf fruchtbaren Boden, wenn der vorher beackert wurde. In den Schoss fällt einem nichts.

Von nichts kommt nichts

Aber hängen Kreativität und Zufall nicht doch zusammen? Kreativität, so der Neuropsychologe Lutz Jäncke, komme nicht aus dem Bauch. Es handle sich vielmehr bei kreativen Einfällen um kurzfristige Zustände des Denkorgans, die in der Regel nicht länger als einige Minuten dauerten. Das Hirn ruft ab, was es bereits gespeichert hat, und kombiniert es neu. Kreativ könne nur sein, wer aus bereits Vorhandenem etwas Neues entwickle. Oder, wie Jäncke lakonisch auf einem Podium zusammenfasst: „Stricken ohne Wolle geht nicht.“ Und so ist es auch ein wenig mit dem Schreiben. Geschichten schwirren in der Luft umher, sie liegen auf der Straße, und wer einen Schutzschirm aufspannt gegen die Zufälligkeiten des Lebens, wird öde Texte abliefern. Schreiben ist zu einem Großteil Handwerk, eine Disziplin, berufliches Schreiben sowieso. Und wer gelernt hat, diesen Strom von Informationen, von zufällig Gehörtem, Erlebtem mit anderen Materialien zu kombinieren, zu bearbeiten, variieren und weiterzuentwickeln, wird in einen produktiven Schreibrausch mit Suchtpotential geraten. Der Funke, der diesen Prozess in Gang setzt, könnte ein Zufall sein.

© Alice Grünfelder

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