Im Interview – Nathalie Bromberger

“Ich will nichts verkaufen, bei dem ich irgendetwas verschweigen muss.”

Nathalie schwitztNathalie Bromberger ist wie ich Mitglied im weltbesten Netzwerk, dem Texttreff. Wir kennen uns also schon einige Jahre – und zwar sowohl digital als auch von verschiedenen Texttreff-Fortbildungswochenenden. Nathalie hat einen wunderbar scharfen Verstand, denkt auf Metaebenen und begeistert sich für vieles, was ich auch sehr mag. Die Zusammenarbeit mit ihr ist erfrischend und ziemlich unterhaltsam – ich weiß das, denn ich durfte sie bei der Entwicklung ihrer Social-Media-Strategie unterstützen ;o))

Zurzeit beobachte ich die Gründung ihres eigenen “Zacken-Verlags” (allein der Name ist schon ziemlich großartig!), die sie sehr detailreich und mit viel Gefühl vorbereitet und auch offen darüber bloggt – sehr interessant, sage ich Ihnen! Ich bin mir sicher, dass ihr neues Konzept sehr gut in die heutige Zeit passt und ein voller Erfolg wird. Und demnächst zieht Nathalie nach Frankfurt, wir werden uns bestimmt in Zukunft öfter sehen – yeah!


CG: Authentizität wird gerade zu einem Modebegriff – immer mehr Unternehmen schreiben sich Echt sein auf die Fahnen. Welche Bedeutung hat Authentizität für dich und deine Arbeit?

NB: Wenn es um meine eigenen kreativen Projekte geht, ist Authentizität der Kern meiner Arbeit. Aber auch als Verlegerin ist Authentizität für mich wesentlich, hier geht es allerdings weniger um meine als um die des Buches. Mich interessieren nur Buchprojekte, die dem Streben nach Authentizität entspringen und die dadurch überraschen und berühren. Als Verlegerin will ich Sorge tragen, dass die Form der Veröffentlichung zum Geist des Buches passt.

CG: Welche Plattformen benutzt du für deinen unternehmerischen Außenauftritt? Verwendest du dort spezielle Stilmittel?

Spiel dich nicht auf!NB: Als Comiczeichnerin und Autorin präsentiere ich mich über meine Homepage mit dem nathlieb-Blog, über meinen Newsletter und über meine Facebook-Seite. Das einzige Stilmittel, das ich bewusst einsetze, sind pinkfarbene Überschriften. Ansonsten versuche ich eher, gegen Stilmittel anzukämpfen, zum Beispiel wenn ich raffinierte Formulierungen oder aufwendige rhetorische Figuren aus meinen Texten streiche. Sprache hat viel mit Macht zu tun. Wenn ich mich dabei ertappe, dass ich meine Texte mit solchem Gedöns aufbausche, bin ich sehr streng mit mir und streiche all diese Künstlichkeiten. Manchmal muss ich dabei mit meinem Ego kämpfen, das so gerne zeigen will, was ich sprachlich an Kunststücken beherrsche.

CG: Du bist Autorin und Illustratorin – und außerdem gründest du gerade deinen eigenen Verlag, um die Prozesse rund ums Buch nach deinen Vorstellungen zu gestalten und vor allem zu beschleunigen. Außerdem bist du eine fleißige Bloggerin, die einen ganz eigenen, sehr persönlichen Stil entwickelt hat. Was denkst du: Wie wichtig ist deine Person für dein Business?

ZZackenlogo-Verlag-kleinNB: Das ist eine Frage, die mich sehr beschäftigt, seit ich den Verlag gegründet habe. Denn was die Illustration und das Schreiben betrifft, war immer klar, dass sich meine Arbeiten nicht von meiner Person trennen lassen. Aber ist das auch als Verlegerin so? Ich schwanke im Moment noch zwischen zwei Auffassungen. Die eine ist, dass es für eine Unternehmung wichtig ist, dass die Abläufe unabhängig von bestimmten Personen sind. Nur so kann eine Unternehmung entstehen, die über meine eigenen Beschränkungen hinauswachsen kann. Hierfür wäre es wichtig, Prozesse und Entscheidungskriterien so viel wie möglich festzulegen. Andererseits versuche ich eine Unternehmung zu gründen, die im Einklang mit meinen persönlichen Werten ist und dabei stoße ich auf das Problem, dass bei vielen kleinen Entscheidungen Werte gegeneinander abgewogen werden müssen. Es ist leicht, abstrakte Begriffe wie Nachhaltigkeit, Empowerment, Diversität auf meine Fahnen zu schreiben, aber was bedeutet das im Detail? Wie sieht eine nachhaltige Zusammenarbeit mit AutorInnen aus? Wie trage ich Sorge, dass die Bücher des Zacken-Verlags Diversität nicht nur auf dem Etikett stehen haben? Entscheide ich mich für die günstigere Papierqualität, damit das Buch für viele erschwinglich ist, oder verliert das Buch mit der Haptik auch seinen Geist? Um solche Fragen zu klären, brauche ich die Unterstützung von Mitdenkern, die mich davon abhalten bestimmte Perspektiven aus dem Blick zu verlieren. Das ist auch ein wichtiger Aspekt der Authentizität: Mir bewusst sein, was ich alles nicht kann und weiß und mir von anderen mit ihren reichen Erfahrungen helfen lassen.

CG: Mit Authentizität gehen Begriffe einher wie …

NB:

  • Ehrlichkeit, vor allem sich selbst gegenüber. Keine Angst vor den eigenen Wahrnehmungen, Gefühlen und Gedanken haben.
  • Selbstliebe. Wer das verrückte, wilde, seltsame, schräge Wesen, das jede von uns im Kern ist, nicht liebt, für den ist es schwer, ehrlich zu sich selbst zu sein und sich authentisch zu zeigen.
  • Bunt-Denken. Das Gegenteil von Schwarz-Weiß-Denken. Wer Fremdwörter mag, kann es auch Ambiguitätstoleranz nennen: Die Fähigkeit Ambivalentes auszuhalten, mit gegensätzlichen Erfahrungen umzugehen und zu akzeptieren, dass es nicht eine Wahrheit gibt, sondern viele. Wer von Konzepten wie „Normalität“ ausgeht, der kann ja gar nicht authentisch sein, weil alle Eigenheit ihm suspekt sein muss.

CG: Was glaubst du: Warum ist es für manche Menschen so schwer, individuelle Wege zu beschreiten und zu den Facetten ihrer Persönlichkeit zu stehen?

NB: Sie mögen sich nicht. (Ha, und jetzt hab ich hier, live bei der Christa-Goede-Show, wieder so einen Aha-Moment auf dem langen Weg zur Authentizität: Ich hatte nämlich erst „Ihnen fehlt die Selbstliebe“ geschrieben. Dann sagte eine Stimme in mir „schon wieder Selbstliebe, jetzt reicht‘s aber mal“. Woraufhin ich mich beim Zensieren ertappte. Scheinbar hab ich mich mit dieser liebevollen Seite meiner selbst noch nicht ganz angefreundet. Solche Momente der Selbsterkenntnis sind manchmal anstrengend – ich schäme mich und werde unsicher und hab die Neigung das Geschriebene zu löschen und mit ein paar allgemeinen Floskeln zu antworten. Aber gleichzeitig weiß ich inzwischen auch, dass dies die Momente sind, in denen ich – wenn ich sie aushalte – ein neues Stück von mir entdecke und wieder etwas mehr ich werde. Und das Verrückte ist: Was gerade noch schämenswert schien, ist im nächsten Moment nur noch lustig  – und liebenswert.)

Also noch mal: Wer sich nicht traut, authentisch zu sein, dem fehlt es noch an Selbstliebe. Selbstliebe hat nichts mit Selbstüberschätzung zu tun. Im Gegenteil, wer sich selbst liebt, kann um sich lachen und hat sich von der Größenfantasie verabschiedet, perfekt zu sein. Selbstliebe heißt, sich selbst mit all den schrägen, seltsamen, wilden, braven, verrückten und langweiligen, lauten und leisen Eigenheiten lieben, die die eigene Persönlichkeit ausmachen.

CG: Nach gängiger Definition resultiert Authentizität aus einem Sieg des Seins über den Schein. Doch für mich als Unternehmerin ist es nicht immer einfach zu entscheiden, wie weit meine Echtheit auf professioneller Ebene gehen darf. Wie erlebst du diese Auseinandersetzung? Hat Authentizität Grenzen?

NB: Diese Frage beschäftigt mich auch sehr. Ich habe ja angefangen, sehr offen über meine unternehmerischen und kreativen Unsicherheiten zu reden und ich weiß noch nicht, ob diese Ehrlichkeit sich auf Dauer negativ auf meine Unternehmung auswirken wird. Ich habe zwar bisher nur positive Reaktionen bekommen, aber das heißt natürlich nicht, dass es nicht Leute gibt, die schweigend den Kopf darüber schütteln, dass ich meine Zweifel so öffentlich ausbreite.

Für mich selbst kann ich aber sagen, dass ich nicht mehr zurück will. Ich will nichts verkaufen, bei dem ich irgendetwas verschweigen muss. Bei der Kalkulation der Bücher, die ich dieses Jahr veröffentlichen werde, habe ich eine Menge innerer Konflikte ausgetragen. Für mich bedeutet Authentizität, dass ich diese Entscheidungen nicht im Hinterkämmerchen und heimlich treffe, sondern offen darüber rede. Es ist doch eine Illusion, dass eine UnternehmerIn zu 100% richtige Entscheidungen treffen könne.

CG: Was glaubst du: Warum werden öffentliche Gefühlsausbrüche von Persönlichkeiten heute besonders geschätzt? Der Wutausbruch von Bundesaußenminister Steinmeier hat viel öffentliche Bewunderung erfahren und ist zum echten Youtube-Hit geworden mit mittlerweile mehr als 2,6 Mio. Klicks.

NB: Es scheint zu gefallen, wenn Politiker Emotionen zeigen. Das verstehe ich zwar, denn ich frage mich auch oft, wo denn viele unserer Abgeordneten ihr Herz haben. Berührt sie das Schicksal der Flüchtlinge nicht? Macht ihnen der Klimawandel keine Sorgen? Warum tun sie nicht das, was Menschlichkeit und Verantwortlichkeit ihnen doch eingeben müssten? Sind sie wirklich alle nur noch am Taktieren oder von Lobbyisten eingekauft?

Aber der Wutausbruch von Herrn Steinmeier kam für mich an der falschen Stelle. Bürger äußerten Kritik, und er wird wütend. Das ist eher ein Zeichen, dass ihm die Argumente ausgegangen sind, als ein Zeichen jener wichtigen Empörung, die Stéphane Hessel forderte.

CG: Zum Schluss ein Blick in die Kristallkugel: Welche unternehmerischen Strategien werden in den nächsten Jahren Interesse wecken – und zum Beispiel aus Interessenten Käufer machen?

BücherschrankNB: Mit Strategien wie „aus Interessenten Käufern machen“ beschäftige ich mich ganz bewusst nicht: Auf keinen Fall will ich Menschen dazu bewegen, etwas zu kaufen, das sie nicht wirklich haben wollen oder brauchen. Jenen blinden Konsum, der kauft und kauft und wegwirft und wegwirft müssen wir hinter uns lassen. Umweltfreundlich produzieren ist toll, aber noch besser nachhaltiger ist es, wenn wir alle unseren Konsum einschränken und Produkte teilen oder tauschen. Meine Zukunftsstrategien richten sich dann auch eher auf die Zusammenarbeit mit Organisationen und Lesern, um dafür zu sorgen, dass meine Produkte wirklich bei einer Nachfrage anschließen und ihre Zielgruppen erreichen. Meine Kristallkugel sagt, dass die Nachfrage nach Produkten mit Sinn zunehmen wird. Und wahrhaft sinnhafte Produkte entstehen nicht auf dem Reißbrett, sondern im authentischen Kontakt mit der Welt und ihren Bewohnern.

CG: Danke, liebe Nathalie, für diese spannenden Eindrücke in dein neues Projekt – ich wünsch dir ganz viel Erfüllung und Erfolg!


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Bildquellenangabe: Nathalie Bromberger

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