Interview mit Dr. Alexandra Hildebrandt

“Echte Liebe stellt niemals etwas anderes dar, als sie ist.”
Ein Interview zur Bedeutung von Nachhaltigkeit und Authentizität.

Wer dieses Blog öfter besucht, hat bestimmt schon den einen oder anderen Artikel zu meinem Herzblut-Thema “Authentizität” gelesen – denn meiner Meinung nach wird dieses Echt sein und damit verbundene Werte wie Transparenz und Ehrlichkeit in Zukunft entscheidend sein für den unternehmerischen Erfolg. Und zwar von den großen Unternehmen über KMU bis hin zu Soloselbstständigen wie mich. Und auch für Angestellte wird es immer wichtiger werden, den Wert der Authentizität zu begreifen und “Echt” zu leben. Spannende Zeiten brechen an!

Dr. Alexandra HildebrandtVor 3 Wochen bekam ich eine Mail von der Nachhaltigkeitsexpertin und Wirtschaftspsychologin Dr. Alexandra Hildebrandt, in der Sie mich auf einen Blogbeitrag aufmerksam machte, den sie in der Huffington Post veröffentlicht hatte: “Jenseits der Arschterrasse. Warum wir uns nach dem Echten sehnen.” Sie wissen, dass ich bei diesem Titel sofort Feuer und Flamme war!

Es entstand ein reger Mailverkehr, in dem wir uns überlegten, wie wir gemeinsam unsere Herzensthemen weiter vorantreiben könnten: Ich wurde zum Beispiel auf der Website “Gesichter der Nachhaltigkeit” aufgenommen – vielen Dank noch mal an dieser Stelle! In einer dieser Mails fragte ich Frau Dr. Hildebrandt, ob sie mir nicht ein Interview für mein Blog geben würde. Und sie hat ja gesagt, jippieh! Ich freue mich sehr, Ihnen heute das Ergebnis präsentieren zu dürfen:

CG: Der Begriff „Authentizität“ wird gerade zu einem Modebegriff – immer mehr Unternehmen schreiben sich „Echt sein“ auf die Fahnen. Doch wenn man sanft an der Firmenfassade kratzt, kommt oft ein Innen zum Vorschein, das nicht zum werblichen Außen passt. Warum glauben so viele Vorstände, Geschäftsführer und auch Marketingfachleute, dass die Kunden das nicht bemerken?

AH: Meistens sind es die, die selbst nicht zu den „Echten“ gehören. Es ist aber auch wichtig, zu differenzieren und genau hinzusehen, von wem Kommunikation und Marketing ausgehen: Kommt sie von innen (vom Unternehmen) oder von außen (von einer Agentur)? Wie passen Inhalt und Form mit der Unternehmensstrategie und -DNA zusammen?
Aktuell lässt sich das sehr gut an zwei Kampagnen für virales Marketing zeigen: „Supergeil“ von Edeka und „Umparken im Kopf“ von Opel. Das Edeka-Video mit Friedrich Liechtenstein, einem Endfünfziger, der mit jungen Frauen im Arm durch den Supermarkt tanzt, sich verschiedene Produkte schnappt und immer wieder singt: “Ich find’s supergeil”, hat zwar ein „Gesicht“. Aber dieses Gesicht ist nicht verbunden mit dem „Körper“ des Unternehmens. Auch Nachhaltigkeit kann „geil“ sein, aber dazu braucht es Substanz, Stabilität, Kontinuität, Sinnvermittlung und Relevanz. Wer danach fragt, was wichtig ist, macht gleichzeitig Unterschiede deutlich – denn Relevanz heißt auch vergleichen. Aber auch nachhaltig sein: Es geht um die Folgen und die Wirkung über den Tag hinaus. Allerdings muss Relevanz genauso unverwechselbar vermarktet und kommuniziert werden. Fehlende Abgrenzung führt auch im konventionellen Wettbewerb dazu, „mit anderen über einen Kamm geschoren zu werden“, sagt Uwe Johänntgen, Leiter Gesamtmarketing bei der memo AG, die für eine Symbiose von ökologischem und sozialem Engagement mit ehrgeizigen betriebswirtschaftlichen Zielen und qualitativ hochwertigen Produkten steht. Im Sinne der Nachhaltigkeit sollte sich seiner Meinung nach das Image im besten Wortsinn „natürlich“ aus der Geschichte und der Qualität eines Produkts ergeben. Leider wird in den Medien im Zusammenhang mit der Supergeil-Werbung weniger über die Produkte und das Unternehmen gesprochen. Vielmehr stehen der Schauspieler Liechtenstein und die Agentur des Spots im Mittelpunkt.

CG: „Umparken im Kopf“ wirbt auch mit Schauspielern …

AH: Ja, allerdings mit dem Unterschied, dass sie für etwas stehen, eine Haltung haben und das Produkt mit ihrer eigenen Geschichte verbinden. Dies soll eine Wende im Kopf auslösen und dazu führen, dass die Botschaft aus eigenem Antrieb angeschaut und weiterempfohlen wird. Dabei geht es im Gegensatz zu „Supergeil“ um Beziehungsarbeit und eine Kultur der Achtsamkeit, die mit neuen Sichtweisen verbunden ist, die nicht sofort in die Kategorien des schon Bekannten eingeordnet werden.
Häufig wird die Supergeil-Werbung von Edeka in einem Atemzug mit der Opel-Kampagne als Beispiel für virales Marketing genannt. Ein solcher Vergleich macht allerdings nur oberflächlich Sinn, weil er sich nur auf die trainierte Fassade von Kampagnen bezieht – am Beispiel von Opel zeigen sich dagegen auch trainierte Muskeln. Dabei geht es um die Geschichte hinter der Marke, um Unternehmens-, Führungs-und Managementprozesse. So hat sich der Opel-Vorstand zum Thema selbst commited. Und auch Jürgen Klopp ist ein idealer Markenbotschafter, weil er ein Trainer ist, der Emotionen zeigt, Menschen berührt und weiß, wie man sie bewegt – auch wenn es mal nicht so läuft. Echte Liebe, wie er und sein Verein sie verkörpern, stellt niemals etwas anderes dar, als sie ist. Glaubwürdigkeit, Vertrauenswürdigkeit und Authentizität werden hier zu lebendiger Markenbildung. Die „Echten“ brennen für ihre Sache und sind deshalb leidenschaftliche Feuermacher, die Gefühle entfachen und sich ins menschliche Gedächtnis einbrennen – denn es gelingt ihnen, mit unvergesslichen Momenten zu überraschen und zu berühren.

CG: Woran ist ein „echtes“ bzw. nachhaltiges Unternehmen erkennbar?

AH: Bewusste und informierte Kunden können durchaus unterscheiden, wer es ernst meint – sie erwarten wahrhaftige Produkte, die unter akzeptablen Umweltschutz- und Sozialbedingungen produziert werden. Will ein Unternehmen im globalen Markt nachhaltig erfolgreich sein, muss es die Kunden verstehen und darf nicht nur mit ihnen „rechnen“. Leider kann häufig nicht überprüft werden, inwiefern das Bekenntnis zur Nachhaltigkeit von Unternehmen selbst kommt oder ob nur ein gesellschaftlicher Trend als Marketingzweck benutzt wird. Auch sind Nachhaltigkeitsstrategien einzelner Marken für Verbraucher oft schwer zu bewerten. Nur die vollständige Kontrolle der gesamten Wertschöpfungskette ermöglicht eine Bewertung und dann auch eine Optimierung unter nachhaltigen Gesichtspunkten.

CG: Wie erklären Sie sich, dass „echte“ Persönlichkeiten heute besonders geschätzt werden?

AH: Weil es so wenig davon gibt. Und die Wenigen mehr auffallen. Es sind Menschen, die eine eigene Meinung vertreten, die manchmal vielleicht auch unpopulär oder unbequem ist, die andere begeistern können, oft auch gegen den Strom schwimmen und einfach ‚sie selbst sind‘. An dieser Stelle zitiere ich gern Claudia Silber, die bei der memo AG die Unternehmenskommunikation leitet: „Das Gegenteil sind nicht unbedingt Kopien, sondern Menschen, die mit dem Strom schwimmen, laut die Meinung anderer oder der Allgemeinheit vertreten und dadurch populär sind oder werden.“ Ich verweise sehr gern auf die Engagierten in mittelständischen Unternehmen, die seit ihrer Gründung nachhaltig ausgerichtet sind. Es muss auch nicht immer der Chef sein, der sich äußert: Echt sein hat mit Charakter und Haltung zu tun, die sich durch die gesamte Organisation ziehen. Und es gehört auch zur Kommunikation von Nachhaltigkeitsthemen, all jene zu zeigen, die an den Prozessen beteiligt sind.

CG: Was haben Nachhaltigkeit, Authentizität und Glaubwürdigkeit miteinander zu tun?

AH: Die Idee der Nachhaltigkeit kann nur wirken, wenn sie in einen umfangreichen gesellschaftspolitischen Ansatz eingebettet ist, der das „Organisationshandeln“ von Institutionen, aber auch die individuellen Äußerungen und Aktivitäten von Menschen umfasst und dabei auch schwierige Themen berücksichtigt. Vertrauen und Glaubwürdigkeit sind dabei eine wichtige Währung: Die neue Managementarchitektur wird getragen von Persönlichkeiten, die einen echten „Hintergrund“ haben, der den Vordergründigen fast immer fehlt.
Die Überlebensfähigkeit von Unternehmen und Organisationen wird künftig verstärkt von ihrer Glaubwürdigkeit abhängen. Dabei ist eine entsprechende Selbstbindung der Führungsverantwortlichen von besonderer Bedeutung – denn es resultiert aus dem „Ja“, aus dem Gefühl und der Überzeugung, für Entscheidungen und Konsequenzen selbst verantwortlich zu sein. Seit den 1980er Jahren verschwanden leider in vielen gesellschaftlichen Bereichen die Persönlichkeitsprofile. Einige Funktionäre und Manager erscheinen wie eine mittelmäßige Marke, die austauschbar ist und kaum wahrgenommen wird. Es ist das Oliver-Bierhoff- oder Markus-Lanz-Phänomen, das im Feuilleton der ZEIT von Christine Lemke-Matwey richtig beschrieben wurde: Es soll ja nichts schmutzig werden – das macht das neue Deutschland aus: allzeit „adrett, korrekt, smart und beflissen”.
Was in der Gesellschaft zunehmend fehlt, sind Menschen mit Charakter, die unerschrocken für ihre Themen einstehen, mutig und berechenbar sind, die zu ihren Fehlern stehen und auch mal anecken. Und das geht nur ohne Samthandschuhe. Der ehemalige DFB-Präsident Dr. Theo Zwanziger ist für mich so jemand: Er ist sich bewusst, dass niemand mit sich im Reinen sein kann, solange er ein bewusstes und engagiertes Leben führt. Er war sich aber auch immer darüber im Klaren, dass die Chance, ein Amt auszuüben, mit der Konsequenz verbunden ist, nicht Versteck zu spielen und sich deutlich zu positionieren – auch im Bewusstsein, dass die Gemengelage des gesellschaftlichen Lebens manchen Kompromiss fordert. Seine Konturen als Persönlichkeit und Verbandspräsident waren immer klar und niemals verwaschen – damit wurde er für andere greifbar und machte sich zuweilen auch selbst angreifbar. Aber das ist der Preis, der für „Echtes“ bezahlt werden muss. Wer erkennbar sein will und andere bewegt, ein authentisches und engagiertes Leben zu führen, nimmt das gern in Kauf. Authentizität ist anders nicht zu haben.

CG: Social Media hat meiner Meinung nach einen Change-Prozess in Gang gesetzt, der sich nicht mehr aufhalten lässt. Ganz egal, ob die Unternehmen mitmachen oder nicht, sie sind alle betroffen. Was glauben Sie: Warum leisten sich viele Unternehmen noch ein viel zu werbliches Auftreten in den Sozialen Netzwerken – oder ignorieren diese Kanäle sogar ganz?

AH: Das hat sicher mit alten Denkmustern zu tun: Viele Unternehmen drehen sich nur um sich selbst und ihre Produkte, sind es gewohnt, auf klassische Kommunikationswege wie Pressemitteilungen, Broschüren oder Newsletter zu setzen – sie müssen nicht aufgegeben werden, aber sie genügen heute nicht mehr. Vielmehr kommt es auf die Kombination an: User wollen Gesamtzusammenhänge und Inhalte mit Mehrwerten untereinander teilen. Platte Werbebotschaften gehören nicht dazu. Nachhaltige Kommunikation bedeutet also vor allem die Konzentration auf das, was Internetnutzer wissen möchten, was sie im Innersten berührt. Das hat mit Herzblut und Leidenschaft zu tun. Über kurz oder lang führt kein Weg daran vorbei.

CG: Welche Strategien werden Ihrer Meinung nach in 10 Jahren Interesse wecken – und im besten Fall aus Interessenten Käufer machen?

AH: Die Zukunft hat schon begonnen, denn in einer beschleunigten Welt, die in gesättigten Märkten unüberschaubare Wahl- und Entscheidungsfreiheiten bietet, orientieren sich bewusste Konsumenten schon heute verstärkt an neuen Wirtschaftsmodellen, die auf nachhaltiges Wachstum setzen. Die neue Sinnökonomie fordert zu Lösungen durch innovatives Denken und Handeln auf. Diese sind geprägt von Öko-Pionieren wie hessnatur, dem Versandhändler für ökologisch und ethisch korrekte Kleidung und Mode, oder der memo AG, einem Versandhandel mit für Büro, Schule, Haushalt und Freizeit, die gezielt nach ökologischen und sozialen Kriterien ausgewählt sind, aber auch Grüne Erde, Lederhaas Cosmetics, Sonnentor, HiPP, Zotter oder VAUDE im Outdoorbereich gehören dazu. Solche Unternehmen verleihen Nachhaltigkeit eine „Handschrift“, die nur über eine eindeutige Sprache vermittelt werden kann, weil Mehrdeutigkeiten Aussagen verwässern.

CG: Frau Dr. Hildebrandt, ich finde Ihren beruflichen Werdegang spannend und faszinierend, denn es kommen Höhen und Tiefen darin vor. So haben sie zum Beispiel die Stabsstelle Gesellschaftspolitik und Nachhaltigkeit der Arcador AG (KarstadtQuelle) geleitet – bis zum bitteren Ende. Von 2010 bis 2013 waren Sie in DFB-Kommission Nachhaltigkeit. Wie hat diese Achterbahn Ihr Leben und Denken beeinflusst?

AH: Es lief immer wieder auf die Erkenntnis hinaus: Nix ist fix. Ich habe früh gelernt, mit Unsicherheiten und Veränderungen umzugehen und meine Stabilität nicht von äußeren Faktoren abhängig zu machen. Mir ist es niemals um die Frage gegangen, was ich ohne Funktion bin, denn von innerer Substanz lässt sich auch in schwierigen Zeiten zehren. Die äußeren Probleme haben mein produktives Denken und pragmatisches Handeln eher gefördert.
Eine weitere Erkenntnis verdanke ich dem Managementberater Jim Collins, der es einmal so ausdrückte: Menschen, die sich eher an das WER als an das WAS halten, sind imstande, sich leichter an Veränderungen anzupassen. Steigen sie vor allem deshalb in einen Bus, weil ihnen das Ziel gefällt, ist es ungewiss, wie sie reagieren, wenn er auf halber Strecke die Richtung ändern muss. Steigen sie aber wegen der anderen ein, fällt es ihnen nicht so schwer, die Fahrtrichtung zu wechseln. Ohne gemeinsames Ziel steigt in der Regel niemand in einen Bus. Wir müssen uns nur darüber im Klaren sein, dass sich Ziele eben jederzeit ändern können. Wer dazu nicht bereit ist, macht sich das Leben unnötig schwer.
Es erfüllt mich mit Freude, in jeder Situation Menschen begegnet zu sein, die von einer ähnlichen Sinnenergie geleitet wurden. Ich habe sie immer am „Zuspiel“ der Bälle erkannt: Wer zu lange zögert, ihn zurückzuwerfen oder ihn aus Interesselosigkeit gar nicht erst auffängt, der wird zu den Ersten gehören, die aus dem Bus aussteigen, wenn sich das Ziel ändert. Die Gleichgesinnten aber spielen sich immer die Bälle zu – auch wenn der Bus ins Strudeln gerät oder an einem Ziel ankommt, das vorher noch nicht auf der Kartenroute stand. Das perfekte „Zusammenspiel“ lässt sich nicht immer nach strengen Regeln planen. Es fügt sich, weil sich die „Richtigen“ immer finden und Freude daran haben, gemeinsam Dinge umzusetzen – auch über Widerstände hinweg.

CG: Ich bin neugierig: Was macht für Sie ganz persönlich einen authentischen Menschen aus? Leben Sie selbst authentisch?

AH: Ich verbinde damit einen unverwechselbaren Eigensinn, aber auch Leidenschaft, Mut und Gespür für den rechten Moment. Wenn etwas stockt, ist es wichtig, einfach etwas Neues zu beginnen, den eigenen Anfängergeist niemals zu verlieren und sich sicher zu sein, dass immer etwas nachkommt. Ich versuche gar nicht erst, mich anders als „echt“ zu geben, weil Verstellung viel zu viel Energie kosten würde, die ich lieber in Projekte und Prozesse investiere. Authentische Menschen wissen einfach, worum es geht. Für Marion Gräfin Dönhoff haben sie alle eins gemeinsam: „Sie sind ganz echt – sie lassen sich nicht vom Zeitgeist oder von Werbeagenturen stilisieren. Sie machen keine Konzessionen an Publikum, Mode, Karriere. Sie sind ohne Furcht. Sie folgen ihren eigenen Maßstäben und ihrer Intuition.“

CG: Vielen, herzlichen Dank für dieses spannende Interview, liebe Frau Dr. Hildebrandt. Ich finde Ihre Arbeit und Ihr Engagement großartig und bin gespannt auf das, was noch kommen wird!

Christa GoedeDu suchst Texte, Websites und Workshops ohne Werbe-Blabla? Prima, du hast mich gefunden! Gemeinsam mit dir entwickele ich deinen authentischen Markenauftritt, der zu deinem Unternehmen und deinen Zielgruppen passt.
Du möchtest lieber viel selbst machen? Nutze meine Workshops als Rampe zum Durchstarten.

  +49 160 94 441 934   mail@christagoede.de

Bild: Peter Stumpf

Kommentar verfassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Nach oben scrollen