Im Interview – Marc Hegemann

“Ich werde angefragt ob dessen, was ich mache und für was ich stehe.”

Marc HegemannMarc kenne ich vom Sehen schon lange, persönlich seit 4 Jahren oder so. Ich mag seine Bilder – seine comic-haften Stil, mit dem er Menschen der Zeitgeschichte und der Popkultur porträtiert. In diese Bildern finde ich etwas Verlebtes oder Morbides, aber immer passendes. Etwas, das zeigt, dass hier Leben gelebt und natürlich auch gerockt wurden. Deswegen findet sich in unserer Wohnung auch das eine oder andere Stück – und wenn ich mal ganz viel Geld übrig habe, lass ich mich von ihm porträtieren. Jawoll.

Darüber hinaus schätze ich seine politischen Statements, die er auf Facebook raushaut: immer geradeaus, immer direkt, fast schon fies in ihrer Deutlichkeit. Ihr fahrt mal in der Nähe von Mainz vorbei? Ein Besuch in seinem Laden, dem Großmanns – feine Waren aus aller Welt, lohnt sich auf jeden Fall. Denn er ist eigentlich sehr nett. ;-)


CG: Authentizität wird gerade zu einem Modebegriff – immer mehr Unternehmen schreiben sich Echt sein auf die Fahnen. Welche Bedeutung hat Authentizität für dich und deine Arbeit?

MH: Ja, schön, nicht wahr! Ein Modebegriff, der vielen allein schon bei der Aussprache Schwierigkeiten bereitet – wie soll es da dann mit der Authentizität der Authentizität allzu weit her sein …
Ich für meinen Teil hab da gut reden als „Künstler“ (ein Begriff, den ich ja eigentlich gar nicht so mag, eine Bezeichnung, bei der in meinen Ohren nach wie vor etwas latent Hippieskes mitschwingt: Haar im Wind, Seele im Pinsel etc.): Ich male, illustriere und gestalte ausschließlich nach meinem Gutdünken, ich muss nicht zwingend einen Markt bedienen. Im Gegenteil, ich werde angefragt ob dessen, was ich mache, wo ich herkomme und für was ich stehe. Als Unternehmen dagegen authentisch und vermeintlich diversen Werten verpflichtet etwas an den Mann zu bringen trotz der logischerweise vorrangig vorhandenen finanziellen Interessen, riecht dagegen immer schnell und leicht ein bisschen nach Mogelpackung, ist aber auch nicht wirklich zu verhindern …

CG: Welche Plattformen benutzt du für deinen unternehmerischen Außenauftritt? Verwendest du dort spezielle Stilmittel?

Großmanns - feine Waren aus aller WeltMH: Oh, auch hier bin ich selbstredend vollkommen meiner Linie treu und eher „ein wenig“ unprofessionell (ein Stilmittel gar?). Ja, ich bin in allen Belangen nachlässig, könnte man fast sagen. Meine Internetseite habe ich seit Jahren nicht mehr aktualisiert, der Webshop liegt brach, die Flyer sind veraltet – einzig meine Facebook-Präsenz pflege ich recht redlich. Doch das ist eigentlich auch sowohl aus künstlerischer als auch aus kaufmännischer Sicht eine der sinnvollsten Möglichkeiten, sich und sein Schaffen mit eher geringem Aufwand weitestmöglich zu verbreiten. Zusätzlich bin ich in der glücklichen Lage, bei Großmanns „feine Waren aus aller Welt“ in Mainz Teile meiner Werke selbst präsentieren zu können – als netter Kaufmann von nebenan.

CG: Marc Hegemann ist King Low – der Maler und Illustrator, der seine eigenen Werke im Mainzer Laden verkauft, zusammen mit feinen Waren aus aller Welt. Und privat rantest du dich auf Facebook als knütteriger alter Mann durch das Zeitgeschehen – oft so treffend, dass es wehtut. Wie kommen deine Kunden mit deinen ganzen Rollen klar?

MH: Och, die ersten beiden Rollen sind eigentlich prima kompatibel, bereichern sich – unternehmerisch betrachtet – gegenseitig und erweitern den Radius. Der knüttrige alte Mann ist dagegen nur so was wie die Stimme aus dem Off, die sich dann und wann quasi ungebeten Gehör verschafft – was wohl aus unternehmerischer Sicht nicht immer schlau ist. Ja nun, aber damit muss der geneigte Kunde wohl klarkommen. Es wäre ja aber auch Scheiße und keinem wäre damit geholfen, wenn einer der beiden – der nette Herr Low oder der Kaufmann von nebenan – fiese Magengeschwüre ob des unterdrückten Knütterns bekäme …

Debbie HarryCG: Wann hast du dich das letzte Mal für einen Kundentermin „verkleidet“?

MH: Ich trag bei Terminen in letzter Zeit mein Haar immer offen, um nicht sofort in diese fiese 50er-Jahre-Ecke gestellt zu werden, hahaha …

CG: Was glaubst du: Warum ist es für manche Menschen so schwer, individuelle Wege zu beschreiten und zu den Facetten ihrer Persönlichkeit zu stehen?

MH: Ich fürchte, dass das nicht wirklich an fehlenden Wegen, sondern eher am Mangel bzw. wenig ausgeprägter eigener Individualität an sich liegt – viel wird zwar allerorten darüber fabuliert, wie wichtig die eigene gefestigte Persönlichkeit in allen Bereichen ist. Wie löblich und gar förderlich im gesamtgesellschaftlichen Kontext es ist, eine eigene Meinung/den Mut zu haben, zu machen, was einem als das Richtige erscheint, und diesen Weg zu gehen, persönlich und beruflich … in der Realität allerdings wird das nicht gefördert, jeder Einzelne wird von Kindesbeinen an durch allerlei bewusst gelegte Hindernisse oder zumindest laut mahnende Wegweiser dazu gebracht, besser doch nur ein wenig individuelles, aber kompatibles Teil des Ganzen zu werden.
Später dann, nach Jahren mangelnder Individualität, diese, eigentlich ja irgendwo in jedem vorhandene Individualität wieder rauszukitzeln und die eigene Individualität gar Oberhand gewinnen zu lassen ist umso schwerer. Doch wer weiß, vielleicht wird eines Tages das längst überfällige bedingungslose Grundeinkommen den Menschen mehr Zeit und damit auch andere Möglichkeiten eröffnen, um sich selbst und den passenden Weg zu finden. Bis dahin aber tragen wir alle ganz toll und kollektiv Shirts von Motörhead und St Pauli und vermissen Helmut Schmidt.

CG: Nach gängiger Definition resultiert Authentizität aus einem Sieg des Seins über den Schein. Doch für mich als Unternehmerin ist es nicht immer einfach zu entscheiden, wie weit meine Echtheit auf professioneller Ebene gehen darf. Wie erlebst du diese Auseinandersetzung? Hat Authentizität Grenzen?

PorträtMH: Auch da muss sich wohl ein wenig unterscheiden zwischen den zwei Bereichen: Bei Großmanns versuchen wir zwar auch, möglichst ausschließlich Ware nach unserem Geschmack zu präsentieren und so unseren Stil samt Haltung zum Konzept zu machen. So ganz geht das aber nicht, denn man kann die Richtung zwar vorgeben, aber eine Linie komplett am mainstreamenden Markt vorbei kommt man dabei nicht hin – schließlich muss sich so ein Geschäft nicht nur tragen, sondern es sollte nach Möglichkeit auch noch was abwerfen. „Wir präsentieren natürlich nur kleine gute Firmen und Künstler und so“ versus „Schnöder Mammon, ick hör dir trapsen“ … das ist oftmals kein leichtes Unterfangen.
Bei King Low dagegen sehe ich keine wirklichen Grenzen: Ich wähle aus, was ich mache und ab diesem Zeitpunkt steht in erster Linie mein Stil für die Authentizität – nicht zwingend immer das Sujet, denn einem zu Porträtierenden kann ich zwar meinen Strich, nicht aber meine Haltung verleihen.

CG: Mit Authentizität gehen Begriffe einher wie …

MH: Tja, gute Frage, darüber habe ich mir nie wirklich Gedanken drüber gemacht. Ich würde aber mal sagen, dass Authentizität bedingt wird durch
a. … Haltung und …
b.  … die eigene Geschichte, also das Leben an sich und die Entwicklung, aus der die Geschichte entsteht …
c. … aber auch die Fähigkeit, sich selbst nicht als zu wichtig oder gar Maßstab für andere anzusehen (Mist, das war jetzt kein Begriff).

CG: Was glaubst du: Warum werden öffentliche Gefühlsausbrüche von Persönlichkeiten heute besonders geschätzt? Der Wutausbruch von Bundesaußenminister Steinmeier at viel öffentliche Bewunderung erfahren und ist zum echten Youtube-Hit geworden mit mittlerweile mehr als 2,6 Mio. Klicks.

SelbstporträtMH: Ach Gott, der Herr Steinmeier wieder … ich schätze, die Leute wähnen dadurch diese sogenannten Persönlichkeiten eher in ihrer Nähe: so ganz Mensch geblieben, einer wie du und ich und so. Ob Steinmeier oder Schweiger, endlich sagt‘s mal einer jenseits des diplomatischen Leisetretens, endlich zeigen auch die mal Gefühl, Wut usw. Da spielt es im Endeffekt keine Rolle mehr, dass es nur lauter war als das, was wir gewohnt sind. Vielleicht zusätzlich mit dem einen oder anderen dezent drapierten Sabberfaden im Mundwinkel präsentiert, aber ansonsten dieselben Plattitüden wie eh und je – nein, eher noch ein wenig platter gar und für die jeweilige Zielgruppe, Schweiger, Steinmeier, wer auch immer, anders betont und aufbereitet und entsprechend inszeniert.

CG: Zum Schluss ein Blick in die Kristallkugel: Welche unternehmerischen Strategien werden in den nächsten Jahren Interesse wecken – und zum Beispiel aus Interessenten Käufer machen?

MH: Oh, wahrscheinlich Ähnliche wie in den letzten Jahren schon, haha: Erweiterungen des Lowschen Oeuvre in Richtung Druck und so, also Poster, Siebdrucke und, und, und. Aber nun, gut Ding‘ will bekanntlich Weile haben und so zieh´n die Jahre wohl weiterhin gemütlich ins Land …


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Bildquellenangabe: Marc Hegemann

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