Im Interview – Eva Kirchhoff

“Ich weiß, wer die Sachen produziert hat.”

Eva Kirchhoff von der Etagerie OffenbachAn Eva kommt in Offenbach niemand vorbei, der sich für schöne Dinge interessiert – im Nordend ist ihr toller Laden “Etagerie – regional & original” darüber hinaus noch geselliger Treffpunkt, leckeres Mittagstisch-Ziel und spannende Infobörse. Denn Eva weiß bestens Bescheid und ist eine sehr gute Netzwerkerin.
Viele meiner Geschenke und Mitbringsel für Freundinnen und Freunde, Verwandte oder auch Kundinnen und Kunden kommen aus ihrem Laden. Denn da kann ich mir sicher sein, dass ich wirklich originelle Dinge kaufe, die dazu noch zumeist in der Region produziert worden sind. Das finde ich ziemlich prima ;-) Besonders fasziniert bin ich von den verschiedenen Notizbüchern, die es bei ihr im Laden gibt – kein Wunder, als Texterin brauche ich immer noch Papier für Kundengespräche oder die kleine Idee, die zwischendurch fix aufgeschrieben werden will. Und in ein schönes Buch schreibe ich gleich viel lieber!
Danke, liebe Eva, dass du meine Fragen so detailreich beantwortet hast.


CG: Du hast vor 6 Jahren die Etagerie in Offenbach gegründet – einen tollen Laden, in dem Designer*innen ihre regionalen Produkte präsentieren und verkaufen können. Außerdem bietest du Nähkurse an und bei dir im Geschäft kann man in der wunderschönen, kreativen Atmosphäre lecker Mittag essen oder köstlichen Kuchen und eine Tasse Kaffee genießen. Außerdem vermietest du deinen Laden für Workshops. Wie bist du auf diese Idee gekommen? Und wie kriegst du das alles hin?

EK: Vor fast 6 Jahren habe ich die Etagerie in Offenbach eröffnet – zusammen mit zwei anderen Frauen, die vor zwei Jahren aber beide in ihr altes berufliches Leben zurückgekehrt sind. Für mich war es selbstverständlich, dass ich die Etagerie fortführen würde.
Wir haben einen schönen Ort geschaffen, quasi aus dem Nichts heraus. Das aufzugeben, dazu war ich nicht bereit. Ich muss sagen, es hat sich gelohnt. Neben den finanziellen Aspekten (geteiltes Einkommen ist weniger Einkommen) ist es anscheinend auch für die Kunden irgendwie klarer, wenn eine “authentische” Person hinter dem Ladentisch steht als drei Individuen. Auf jeden Fall ist die Etagerie erfolgreich und trägt inzwischen überzeugend zum Familieneinkommen bei.
Die Idee zur Etagerie ist aus einer Rettungsaktion für das Kulturzentrum Hafen 2 entstanden. Dazu haben wir einen Kreativmarkt in der alten Ölhalle und im Lokschuppen organisiert und die Einnahmen weitgehend für den Neubau gespendet. Kurz vor der dritten Veranstaltung wurde dann das Ladenlokal Domstraße/Ecke Taunusstraße frei. Und so haben wir den Designs aus Wohn- und Schlafzimmerateliers ein Zuhause gegeben. Geplant war dies nicht, Geld hatten wir auch keines. Also haben wir ein paar Ersparnisse zusammengekratzt und eine kleine Förderung bekommen. Mit viel Eigenarbeit sowie viel Engagement vonseiten des Vermieters konnten wir die Räume mehr oder weniger so gestalten, wie sie größtenteils heute noch sind.
Eigentlich ist die Etagerie “viele Läden”: Bis zu 50 Ausstellungsflächen werden an Kreative, die mehrheitlich aus der Region kommen, vermietet. Für den Verkauf erhalte ich eine Provision. Außerdem teile ich die Ladenfläche (und die Abdeckung der Öffnungszeiten) mit der wunderbaren Ulrike Janssen, die auf etwa 25 qm ihr Wollgeschäft “Maschenwahn” betreibt.
Der große Tisch der Etagerie Offenbach ist ein TreffpunktVon Anfang an war der große Tisch zentraler Kommunikationsort des Ladens. Dort gibt es einen kleinen Mittagstisch, es wird Kaffee getrunken, es gibt Strickabende und Nähkurse. In der Etagerie gibt keine Einzeltische – wer für sich sein möchte, ist hier falsch. Stattdessen wird geredet, Netzwerke werden geknüpft, es ist eigentlich immer jemand da, Fragen können gestellt werden, wer kennt jemanden, der …. Das macht vermutlich die Besonderheit der Etagerie aus!
Die Frage nach den Workshops: Von Beginn an gibt Sabine Henry die Nähkurse in der Etagerie. Wir teilen uns die Organisation und entsprechend auch die Einnahmen. Und hin und wieder findet auch eine externe Veranstaltung statt – Coachings, Lesungen, auch Kindertheater gab es schon. Ist aber eher die Ausnahme, weil, und da kommen wir gleich zur nächsten Frage “wie schaffst Du das alles?” – die Etagerie ist eine One-Woman-Show. Ich decke den Großteil der Ladenöffnung ab. Und ich bin auch komplett verantwortlich für die Kontakte zu den Ausstellern, ich mache Bestellungen, bereite die Buchhaltung vor, koche, putze, dekoriere usw. Einzig einen Steuerberater leiste ich mir. Darüber hinaus habe ich zwei Kinder und einen ebenfalls selbstständigen Ehemann – da sind Engagements über die Ladenöffnungszeiten hinaus derzeit kaum möglich.

CG: Authentizität ist ein Modebegriff – viele Unternehmen und Selbstständige schreiben sich Echt sein auf die Fahnen. Welche Bedeutung hat Authentizität für dich und deine Arbeit?

EK: Das ist eine lustige Frage, weil ich vor Kurzem eingeladen war, am Zukunftskonzept Innenstadt Offenbach teilzunehmen. Einerseits schmeichelt mir das, da das Unternehmen “Etagerie” anscheinend inzwischen ernst genommen wird in unserem Stadtteil. Andererseits habe ich festgestellt, dass wir vor sechs Jahren ein sehr modernes Einzelhandelskonzept geschaffen haben – und zwar ganz ohne Vorwissen!
Viele kleine und große Unternehmen versuchen sich an Mischungen aus Konsum, Treffpunkt und Event sowie dem klassischen, stationären Einzelhandel. Sie möchten so die Menschen dazu zu bringen, nicht so viel im Internet zu bestellen. Mein Vorteil ist, dass es die meisten Sachen, die es in der Etagerie zu kaufen gibt, gar nicht im Onlinehandel gibt. Außerdem weiß ich, wer die Sachen produziert hat. Plus der Tatsache, dass ICH dort mein Geld verdiene, macht das die Geschäftsbeziehung zu einer wesentlich ehrlicheren, authentischen Aktion als bei den meisten anderen Geschäften.
Das funktioniert aber nur, wenn jemand voll und ganz hinter dem Konzept steht. Ich bin Unternehmerin, ich muss bereit sein, mein Gesicht an guten wie an schlechten Tagen in der Öffentlichkeit zu präsentieren. Ich kann mir meine Kunden nicht aussuchen, ich muss viel körperliche Energie aufbringen. Aber es kommt wahnsinnig viel positive Energie zurück! Und das ist sehr viel Lohn, selbst dann, wenn die Füße schmerzen.

CG: Warum ist es so schwer für viele Menschen, individuelle Wege zu beschreiten und das zu tun, was uns wirklich ausfüllt?

EK: Für mich war Individualität nie so schwierig. Ich habe mich schon als Jugendliche weniger an Moden orientiert und bin lieber angeeckt als mitzuschwimmen. Eigentlich bin ich Sozialarbeiterin: In meinem Beruf habe ich mit sehr unterschiedlichen Zielgruppen gearbeitet, sie gepflegt, betreut und beraten. Zwischendurch habe ich aber auch in der freien Wirtschaft gearbeitet. Da musste ich einerseits persönlich flexibel reagieren. Da ich aber andererseits sehr gerne arbeite, haben mir meine Individualität und meine Authentizität immer eher genutzt als geschadet, würde ich sagen. Von daher war der Wandel von der authentischen Sozialarbeiterin zur authentischen Einzelhändlerin recht einfach.

CG: Welche Plattformen benutzt du für deinen unternehmerischen Außenauftritt? Verwendest du dort spezielle Stilmittel?

EK: Ich habe bis heute keine Internetseite, nutze nur Facebook und Instagram. In der Gründungszeit konnten wir uns das nicht leisten, inzwischen kultiviere ich diese Unperfektheit sogar ein bisschen bei Fotos und den Texten. Anscheinend fühlen sich die Follower aber gut informiert über meine Angebote, da ich oft gute Rückmeldungen zu meinen Postings erhalte.

CG: Nach gängiger Definition resultiert Authentizität aus einem Sieg des Seins über den Schein. Doch für mich als Unternehmerin ist es nicht immer einfach zu entscheiden, wie weit meine Echtheit auf professioneller Ebene gehen darf. Wie erlebst du diese Auseinandersetzung? Hat Authentizität Grenzen?

Die Etagerie in OffenbachEK: Ich bin nicht privat in der Etagerie. Die Menschen müssen bezahlen, und das war am Anfang gewöhnungsbedürftig. Es gibt Übergänge, weil Kunden schon zu Freunden geworden sind. Ich verbringe viel Zeit meines Lebens dort – so, wie andere ihre Kollegen haben, teile ich viel Leben mit den Menschen, die zu mir in den Laden kommen. Und wem die Atmosphäre zu offen, zu authentisch oder was auch immer ist, der kommt nicht wieder – das haben wir auch festgestellt. Mir wurde mal erzählt, dass solche Läden immer so zum Kauf verpflichtend seien. Wer seine Geschenke aber bei Lidl & Co. kauft, sollte sich nicht wundern, wenn es in den Städten nur noch Kettenläden gibt und keine inhabergeführten Geschäfte mehr.

CG: Mit Authentizität gehen Begriffe einher wie ….

EK: Ehrlichkeit, Offenheit und Empathie. Individualität stellt sich gesellschaftlich oft wie der sprichwörtliche Elefant im Porzellanladen dar. Zusammen mit den drei genannten Eigenschaften wird es zum Miteinander.

CG: Was glaubst du: Warum wird Authentizität von vielen Menschen ganz besonders geschätzt?

EK: Weiß ich nicht so genau. Auf der einen Seite scheuen sich viele Menschen davor. Deswegen entwickeln sie äußerliche Uniformen, glauben, jede Mode mitmachen zu müssen. Gleichzeitig scheint Authentizität eine geheime Sehnsucht darzustellen. Denn diejenigen, die nicht immer auch den gleichen Pfaden wandeln, werden beneidet – z. B. um ihren Mut, auch mal unsichere Wege zu bestreiten. Das habe ich zumindest so erlebt.

CG: Zum Schluss ein Blick in die Kristallkugel: Mit welchen Strategien werden Geschäfte wie deins in den nächsten Jahren die Aufmerksamkeit der potenziellen Kundinnen und Kunden auf sich ziehen?

EK: Die Strategien für die Zukunft: Nur wer selbst neugierig ist auf Menschen und auf neue Produkte, kann sich mit der Kundschaft weiter entwickeln. Wir haben kein träges, großes Kaufhauskonzept, also können die inhabergeführten Läden oft flexibler und schneller reagieren. Soziales und gesellschaftliches Engagement sollte darüber hinaus selbstverständlich sein.

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Bildquellenangabe: Yildiz Köremezli

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