5 Thesen, warum wir in Social Media nicht miteinander reden können.
Ich bin ein großer Fan von Social Media und überhaupt diesem Dings, das Internet heißt. Denn nie war es so einfach, Informationen zu suchen, zu bekommen und zu teilen. Und noch nie war es so einfach, sich global zu vernetzen, Unterstützung für ein Projekt zu finden oder Menschen für bestimmte Themen zu begeistern. Doch je intensiver ich mich mit der digitalen Entwicklung auseinandersetze, um so mehr merke ich, dass wir dort eins nicht können: miteinander reden.
Ganz gleich, ob in der Familien-WhatsApp-Gruppe, in der Facebook-Gruppe zum Thema Hatespeech oder auf den verschiedenen Fanpages der großen Tageszeitungen, auf denen tagtäglich Wutbürger ihren Hass auskotzen – nur selten finden dort tiefe, ernsthafte Diskussionen statt, die vielleicht nicht unbedingt zu einem gemeinsamen Konsens finden, aber aus dem Menschen trotzdem zufrieden, mit mehr Wissen und vor allem unbeschädigt hervor kommen. Vielmehr empfinde ich es so, dass für viele Menschen Social Media eine Art Arena ist, in der es nur darum geht, den Gegner möglichst umfänglich platt zu machen. Und das auch gerne mit ekelhaften Methoden wie persönlichen Angriffen oder Beleidigungen. Was ein Glück sieht die Bilanz in meinen Face-to-Face-Gesprächen ganz anders aus!
Doch woran könnte das liegen, dass wir in Social Media nicht miteinander reden können? Ich habe mal 5 Thesen aufgeschrieben, die ganz bestimmt nicht fertig gedacht sind – aber dich vielleicht dazu anregen, selbst darüber nachzudenken:
1. Wir vermissen die visuelle Komponente im Gespräch.
Nein, ein Emoji ersetzt Körpersprache nicht, auch wenn wir uns das alle wünschen und in den Sozialen Netzwerken dazu animiert werden, diese reichlich zu benutzen. Ein Beispiel: Ein Smiley mit einem gerade gestellten Mund 😐 zeigt uns nicht, ob dieser Gesichtsausdruck nun eher skeptisch oder sogar schon böse gemeint ist oder einfach nur Neutralität signalisieren soll – wir wissen einfach nicht sicher, in welcher emotionalen Lage sich unser Gegenüber gerade befindet! Ganz anders ist das in einem persönlichen Gespräch, wo uns neben den Worten noch die Stimmlage und noch die Mimik zur Verfügung stehen, um mit anderen zu kommunizieren. Im Netz bleibt uns da nur die Interpretation: Wir verbinden die Worte mit den Emojis und unseren eigenen Erfahrungen und Gefühlen – und schwupps – ist das Missverständnis da. Auf Facebook ist zum Beispiel immer wieder die Diskussion zu beobachten, warum Menschen traurige Postings liken, denn der hochgestellte Daumen ist ja für die meisten Menschen für positive Emotionen reserviert – doch es gibt auch Leute, die den Daumen als Zeichen benutzen, dass sie diesen Text gelesen haben. Und schon geht die nächste Verbalschlacht um die Deutungshoheit von Emojis los …
2. Wir interpretieren geschriebene Worte anders als gesprochene.
Geschriebene Worte haben etwas Endgültiges – schließlich wissen wir alle noch zu genau, wie mühselig es früher war, einen Schreibfehler im Schulheft zu beseitigen. Und so gehen wir automatisch davon aus, dass das getippte Statement nun wirklich etwas Durchdachtes ist. Doch in Wirklichkeit ist es vielleicht nur ein flüchtiger Gedanke, den der Absender in den nächsten 10 Minuten gerne wieder korrigieren möchte? Im persönlichen Gespräch kriegen wir hier schnell die Biege, in dem wir noch mal Bezug auf unsere Ursprungsformulierung nehmen. In Social Media ist das schwierig, denn gerade in hitzigen Diskussionen liegen vielleicht schon 50 Postings zwischen dem neuen Statement und dem alten, nicht ganz korrekten Gedanken. Außerdem diskutiert man hier oft in einem Strang mit verschiedenen Personen und unterschiedlichen Themenbereichen – da ist es manchmal schwierig, überhaupt den Überblick zu behalten und die richtigen Menschen in den Antwortbeiträgen zu markieren.
3. Wir erwarten etwas Schlechtes von unserem Gegenüber.
Oft sind wir anderen Menschen gegenüber von vorneherein skeptisch eingestellt, so nach dem Motto: “Die tippt auf der Fanpage von Krawallblättern, die muss irgendwie blöde sein!” Und schon befinden wir uns in einer Abwehrhaltung und können selbst nicht mehr neutral schreiben. Auch das Umfeld färbt auf uns ab: Es fällt uns unglaublich schwer, in einer vom stumpfen Hass durchzogenen Wutbürger-Atmosphäre noch ruhig und gelassen zu bleiben und die getippten Worte unseres Gegenübers wirklich zu verstehen. Noch dazu haben wir nur wenig Zeit, denn gerade wenn es hitzig zu geht, kommen viele Postings hintereinander, zu denen wir alle etwas zu sagen hätten. Doch auch in weniger brenzligen Foren geraten Menschen immer wieder aneinander wegen verschiedener Erwartungshaltungen oder auch, weil Worte anders wirken, als wir sie gemeint haben.
4. Wir denken schneller als wir tippen.
Die meisten von uns tippen sehr schnell – und doch funktioniert unser Hirn noch schneller. Und so passiert es uns, dass unsere getippten Argumentationsketten mehr Löcher aufweisen als die gesprochenen. Uns selbst mag das Posting noch logisch erscheinen, weil wir eben die nicht getippten Gedanken kennen, doch unserem Gegenüber bleibt nur ein: HÄÄ? Denn es fehlen einfach zu viele Zwischenschritte, die wir eben nicht aufschreiben konnten, weil selbst die schnellsten Schnelltippenden nicht schnell genug tippen. Noch dazu muss man in Social Media die Leute praktisch ausreden lassen, denn einen Posting-Tippvorgang kann man von außen nicht unterbrechen – ganz im Gegensatz zu einem direkten Gespräch, wo man direkt nachfragen kann in der Sekunde, in der die Worte den Mund verlassen haben.
5. Wir diskutieren unter Zeitdruck offensiver.
Kaum jemand von uns hat Zeit, stundenlang im Social Web zu diskutieren. Und so werfen wir hier ein paar Sätze ein und platzieren dort ein Statement – und dann sind wir auch schon wieder weg. Wir versuchen gleichzeitig, in wenigen Worten möglichst viel zu sagen und geraten so wieder in die “Wir-denken-schneller-als-wir-tippen”-Falle. Noch dazu ist uns dann auch öfter mal die Reaktion der anderen im Diskussionsstrang total egal, weil wir ja eh keine Zeit haben, das alles zu lesen. Diese wenig wertschätzende Sicht auf unser Gegenüber verführt uns, Postings schärfer zu formulieren, als sie eigentlich gemeint waren – wir lesen das Echo ja ohnehin nicht mehr, weil wir gleich einen wichtigen Termin haben und bis heute Abend haben wir das eh wieder vergessen.
Und nun? Wie geht’s weiter?
Hm … schwierig. Ich selbst tappe in alle 5 Fallen und das immer wieder und immer wieder – in persönlichen Gesprächen hingegen passiert mir das eher selten. Aber im Social Web gehe ich ab wie eine Rakete bei absoluten Formulierungen wie: “Alle Frauen sind XY, und alle Männer sind YZ”. Unterstellungen und Interpretationen meiner getippten Worte kann ich auch überhaupt nicht leiden – im realen Leben würde ich aber nachfragen und zum Beispiel formulieren: “Verstehe ich dich gerade richtig, dass du … meinst?”
Doch in Social Media gelingt mir das nicht – und zwar nicht wegen der fünf Thesen oben, sondern auch aus strukturellen Gründen. Denn der Aufbau der Postings in den Sozialen Netzwerken verschärft die konfrontative Situation noch: Facebook lässt zum Beispiel nur zwei Gesprächsebenen zu (Kommentieren und Antworten), aber eine unbegrenzte Anzahl an Diskutanten. Kein Wunder, dass es da öfter mal knallt. Wenn wir wild durcheinanderreden, können wir auch Face to Face nicht diskutieren.
Doch wie können wir das alles ändern? Ganz fix vermutlich gar nicht. Aber wir können uns selbst sensibilisieren für unsere eigene Schreibe, an uns selbst arbeiten. Und vielleicht einfach … tja, keine Ahnung. Ich denke weiter drüber nach. Und was macht ihr?
Bildquellenangabe: Pixabay
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Liebe Christa, ich möchte ergänzen. Wir lesen nicht den ganzen Kommentarstrang, sondern reagieren auf einzelne Posts. // Manchmal reagieren Leute auf einzelne Stichwörter/Reizwörter. – Im Gespräch miteinander wäre das ungefähr so: Zwei unterhalten sich. Ein dritter schnappt ein einzelnes Wort, einen Halbsatz auf, geht dazwischen und fängt an, den einen oder beide zu beschimpfen. Kommt im Reallife wohl eher selten vor. Im Netz Standard.
Danke auch dir, Sigi – du hast recht, genau das passiert uns allen ebenfalls.
Liebe Grüße sendet
Christa
Eine gute Zusammenfassung! Ich möchte noch ergänzen, dass man unangenehme Gespräche und Menschen einfach “wegklicken” kann, trägt auch einiges dazu bei. Man muss sich nicht auf das Gegenüber einlassen und auch mal einen Konflikt ertragen, wie es auf der Arbeit, in der Nachbarschaft oder Familie der Fall ist. LG!
Danke dir für diese wichtige Ergänzung, liebe Manuela!
Viele Grüße sendet
Christa
Eine gesunde LMAA-Einstellung hilft ebenfalls, in den sozialen Medien (bevorzugt Facebook) nicht jeden notierten Gedankenschnipsel ernst zu nehmen oder Kommentare in Diskussionen, an denen man sich selbst beteiligt, auf sich persönlich zu beziehen. Ist schwer, ich weiß – denn manche Kommentarstränge sind wie Verkehrsunfälle: Man will nicht, muss aber hingucken/lesen/senfen. ;)
Liebe Grüße, Claudia
Liebe Claudia,
ja, stimmt – LMAA braucht man schon öfter mal, ich auch ;o) Allerdings fällt es mir immer schwerer, wenn die Frequenz dieser depperten Kommentare steigt. Es gibt Tage, da kann ich das gar nicht mehr lesen, weil ich diesen Hass, diese Agressivität und diese Empathielosigkeit schlicht und ergreifend nicht mehr aushalten kann.
Liebe Grüße sendet
Christa
Guten Abend Christa,
danke für dieses kurze drauf-Aufmerksam-machen und sich-selbst-hinterfragen. Ich beobachte dieses Verhalten in den sozialen Medien – wenn auch mit Abstand. Meines Erachtens liegt auch ein Großteil des Problems in der Vielseitigkeit der involvierten Menschen eines Gesprächs im Social Web.
Eine Diskussion auf dem Spielplatz, im Büro, in der Kneipe oder im heimischen Garten umfasst prinzipiell immer sich ähnelnde Charaktere bzw. Gesellschaftsschichten – die zumindest den selben Hintergrund, ähnliche Werte haben.
Da verläuft ein Gespräch doch eher rund und in eine Richtung, als im Netz, wo alle möglichen Gesellschaftsschichten, Erfahrungen, Werte und Erwartungen aufeinander treffen.
Wie siehst du das?
Grüße
(PS: ein toller Blog, neu entdeckt!)
Liebe Nadine,
erst mal vielen Dank für das Kompliment ;o)
Mit deiner kleinen Analyse der Zustände im Internet hast du vermutlich ein Stück weit recht. Denn die meisten Menschen entwickeln ihre Filterblase selbst, in dem sie interagieren via Likes, Kommentieren, Teilen. Der Algorithmus der Sozialen Netzwerke nimmt uns dabei einen Teil der Arbeit ab!
Dazu kommt noch, dass es leider viele Menschen gibt, die vollkommen enthemmt alles schreiben, was man schreiben kann – Empathie Fehlanzeige. Woran das liegt … ich weiß es nicht. Vielleicht ein genereller Lebensfrust? Die Lust darauf, Verbotenes zu tun? Oder ist die Herzensbildung schon so vernachlässigt worden, dass viele Menschen gar nicht mehr anders können?
Liebe Grüße sendet dir
Christa