Im Interview – Carsten Rossi

“Wer meine Kreativität will, muss mich aushalten.”

Carsten Rossi lacht Carsten und ich haben uns via Facebook kennengelernt: Anfang des Jahres 2017 waren wir Teil einer Bewegung der Counterspeecher, aus der bis heute aktive und ziemlich erfolgreiche Gruppen wie “#ichbinhier” hervorgingen. Carsten diskutiert genau wie ich bis heute auf Facebook und engagiert sich aktiv gegen den Hass. Er streitet auf hohem Niveau und verliert dabei nie die Contenance – das finde ich ziemlich prima ;-) Außerdem mag ich die Arbeiten seiner Agentur, denn er schafft mit seinen Unternehmensgeschichten den Grenzgang zwischen Authentizität, PR und Werbung. Der Blick in die Referenzliste von Kamann Rossi lohnt sich! Danke, Carsten, für deine spannenden und detailreichen Antworten.


CG: Du bist einer der Geschäftsführenden der Agentur Kammann Rossi – für eure tollen Corporate Marketing und Corporate Publishing-Projekte seid ihr schon mehrfach ausgezeichnet worden. Als Privatperson nimmst du in den Sozialen Netzwerken kein Blatt vor den Mund und äußerst dich politisch zu verschiedenen Themen. Wie viel von diesem „streitbaren Carsten“ nimmst du mit zu deinen Kunden und in deine tägliche Arbeit?

CR: Kommt drauf an, ob Du die Haltung meinst oder den Inhalt. Ich streite mich gerne konstruktiv, also beziehe ich normalerweise recht offen Position, wenn ich von meiner Meinung überzeugt bin. Das ist in meinem Privatleben wie bei meinen beruflichen Aufgaben so. Als kreativer Berater wird das Gottseidank in den meisten Fällen auch von mir erwartet! Und dort, wo das nicht der Fall ist, wo sie nur Ausführer oder Jasager brauchen, sind wir als Agentur meistens auch nicht sehr lange tätig. Die setzen uns dann schnell vor die Tür oder wir geben entnervt auf und suchen das Weite.
Inhaltlich ist das häufig schon eher ein Spagat: Ich nehme bei einem Agentur-Lunch, bei dem es zu politischen Themen kommt, sicherlich kein Blatt vor den Mund, sondern äußere meine Meinung klar und deutlich im Rahmen der gesellschaftlich akzeptierten Umgangsformen. Und sollte ich einmal auf einen Gesprächspartner treffen, der meine gesellschaftlichen Kernwerte, die man nach alter Klassifikation wohl am ehesten als linksliberal bezeichnen könnte, gar nicht akzeptieren kann, würden wir wohl nicht lange zusammenarbeiten.
Anders ist das aber bei fachpolitischen Diskussionen, wo wir als Gesellschaft noch einen Konsens finden müssen, z. B. in der Verkehrspolitik. Wir arbeiten viel für die Automobilindustrie, obwohl ich persönlich kein großer Freund vieler Konzepte der individuellen Mobilität mehr bin. Aber diese beiden Positionen bzw. Interessenlagen sind nicht grundsätzlich unvereinbar miteinander, sondern wir müssen mittelfristig einen sozial akzeptablen Kompromiss finden. Also laufe ich jetzt nicht dauernd beim Kunden rum und sage allen, dass sie bei manchen Themen meiner Meinung nach auf dem Holzweg sind. Beide Positionen sind aktuell valide und wir müssen sehen, was die Zukunft bringt.
Hinzu kommt, auch wenn das vielleicht etwas vermessen klingt, dass ich meinen Job, also den PR-Teil, auch durchaus anwaltlich verstehe. Unsere Aufgabe ist es, Unternehmen im gesellschaftlichen Diskurs eine Stimme zu geben, die gehört wird und die so in die Meinungsbildung einfließt. Und wie ein Anwalt immer das Beste für seinen Mandanten erreichen soll, auch wenn er dessen Handlungen nicht immer persönlich billigt, so muss ich die für Wirkung der Kommunikation meiner Kunden sorgen – ob ich das Argument nun teile oder nicht. Ich will meinen Job um Gottes willen nicht ethisch überhöhen, aber die Metapher hilft mir manchmal in schwierigen Situationen. Dann streite ich mich eben mal FÜR die anderen.

CG: Authentizität ist ein Modebegriff – viele Unternehmen und Selbstständige schreiben sich Echt sein auf die Fahnen. Welche Bedeutung hat Authentizität für dich?

Carsten Rossi bei StromausfallCR: Für mich persönlich eine große: Ich muss ich sein dürfen, um mich wohlzufühlen und gute Arbeit zu machen. Wer meine Kreativität will, muss mich aushalten. Das Produkt muss Regeln gehorchen, sich am Markt oder an der CI orientieren, aber nicht schon der kreative Prozess. Zu viele Regeln zu Beginn führen nur ins Mittelmaß. Insofern muss man nicht nur unsere Arbeit, sondern auch unsere Persönlichkeit(en) akzeptieren. Das ist nicht böse gemeint, einfach nur eine Wahrheit: In meiner Branche arbeiten wir als Menschen zusammen und müssen deshalb als Menschen gut zueinanderpassen, uns ergänzen und respektieren. Vielleicht sollte ich aber noch hinzufügen, dass ich eigentlich ganz gut auszuhalten bin: Ich bin kein kreativer Wahnsinniger oder arroganter Berater, der will, dass alle vor ihm niederknien. Respekt voreinander ist enorm wichtig und dazu gehören Freundlichkeit und Zivilisiertheit.

CG: Mit Authentizität gehen Begriffe einher wie …

CR: a. Überzeugungen
b. Transparenz
c. Mut
Authentizität ist eine Wirkungskette: Zunächst einmal braucht es Überzeugungen und Werte, die „unveräußerlich“ sind und die die Basis meiner Kommunikation darstellen. Wenn die schon verhandelbar sind, wird es schwer, überhaupt Glaubwürdigkeit aufzubauen. Danach braucht es den Willen zur Transparenz. Ich muss darüber reden und eine Stimme haben oder meine Überzeugungen gar tätig umsetzen wollen. Sonst können sie keine Wirkung entfalten und niemand sieht, wofür ich stehe. Und als Letztes braucht es den Mut, diese Haltung auch dann zu kommunizieren und zu leben, wenn sie mir schadet, wenn ein Preis dafür zu entrichten ist. Authentizität beweist sich vor allem in der Krise.

CG: Was glaubst du: Warum wird Authentizität von vielen Menschen ganz besonders geschätzt?

CR: Wird sie das denn wirklich? Von vielen? Wenn das so wäre, wären die meisten FMCG-Influencer und ihre absurd hohen Followerzahlen doch gar nicht möglich, oder? Ich habe den Eindruck, dass Authentizität häufig mit stilistischer Integrität verwechselt wird. Natürlich muss ein Produkt zum (visuellen, verbalen) Stil eines Influencers passen, um überhaupt wirksam zu sein, um glaubwürdig verkauft zu werden. Ein allzu großer Bruch gibt beide, Produkt und Influencer, der Lächerlichkeit preis. Das ist Kommunikationshandwerk. Aber ein Stil ist doch noch keine Überzeugung. Überzeugungen und Werte spielen häufig gar keine Rolle in der Marketing-Kommunikation. Sie werden sogar bewusst außen vor gehalten, um Türen nicht zu früh zu schließen. Und erfolgreich sind diese Influencer dann trotzdem, obwohl jeder halbwegs intelligente Mensch merkt, wie viel Fake in manchen Posts steckt. Wir leben zurzeit nicht in einer Welt, die Authentizität schätzt, sondern in einer, die bruchlose Inszenierung bevorzugt. Das sind zwei unterschiedliche Dinge, die meines Erachtens nicht verwechselt werden dürfen. Zwar ist der Wandel schon spürbar, der Überdruss am Status quo. Kluge Menschen werden besser darin, Inszenierung von Realität zu trennen. Bisher sind das aber eher die „early Adopter“, die das schon leben und einfordern. Authentizität ist die Zukunft, nicht die Gegenwart.

CG: Welche Wege und Methoden gibt es für große Unternehmen, diesen Wunsch nach mehr Authentizität Realität werden zu lassen?

echt-sein - ein Projekt der Deutschen BahnCR: Wie oben gesagt, ich bin mir nicht sicher, ob dieser Wunsch aktuell wirklich existiert. Aber wenn ein Unternehmen Authentizität schon jetzt wirklich leben will, dann muss es seine Werte bis zum bitteren Ende vertreten, also nicht nur haben und kommunizieren, sondern den Mut besitzen, dafür zu bluten und im Gegenwind zu stehen. Im besten Falle geht das über Kommunikation und ein bisschen Shitstorm hinaus. Die Gillette-Kampagne „The best man can be“ war mutig, aber so was versandet schnell. Und pro Jahr eine Million zu spenden, tut denen auch nicht unbedingt weh. Volvo, mit seiner Ankündigung, seine Autos bei 180 km/h anzuriegeln, geht da einen ganzen Schritt weiter – die werden tätig, verändern ihr Produkt und nehmen in Kauf, dass sie für bestimmte Käuferschichten langfristig nicht mehr akzeptabel sind.
So opahaft das klingt: In Sachen Authentizität gibt es nichts Gutes, außer man tut es. Der Rest ist Kommunikationshandwerk: Lasst echte Menschen möglichst unzensiert Geschichten erzählen, die für eure Werte stehen. Marken und Unternehmen sind als Absender per se nicht besonders glaubwürdig. Sie brauchen immer die Unterstützung der Menschen, die für sie arbeiten. Deshalb arbeite ich zurzeit auch so frenetisch an unserem Storytelling-Framework: Geschichten mit Menschen im Fokus sind eine der wichtigsten Kommunikationstaktiken der nächsten 10 Jahre. Das Vertrauen in Organisationen ist weitestgehend dahin.

CG: Welche Plattformen benutzt du für deinen unternehmerischen Außenauftritt? Verwendest du dort spezielle Stilmittel?

CR: Wir haben eine Website, einen Blog, nutzen Instagram, LinkedIn, Facebook und Twitter. Im Fokus stehen davon zurzeit Website, Blog und LinkedIn. Der Blog liefert uns den Content, mit dem wir auf LinkedIn Menschen überzeugen wollen, sich näher mit uns auseinanderzusetzen. Auf der Website können sie dann z. B. anhand von Referenzprojekten gucken, ob wir inhaltlich und fachlich zu ihnen oder ihrem Projekt passen. Unser Stil setzt dabei schon stark auf Authentizität und Einblick in die Agentur, die sehr oft durch mich repräsentiert wird. Wahrscheinlich sind wir auch deshalb so stark auf Veranstaltungen und Seminaren präsent. Ich halte bestimmt 30-40 Vorträge und Workshops im Jahr. Da kann man die Agentur und mich gut und live kennenlernen.
Wir gehen auch gerne mit einer klaren Position in Diskussionen, geben die aber offen auf, wenn wir unrecht hatten. Wir sind streitbar, aber ehrlich. Viele Berater sind da viel akademischer am Start – die versuchen einen Überblick über den Stand der Dinge zu geben, Orientierung zu schaffen. Dazu bin ich zu ungeduldig. Ich hau‘ gerne mal einen raus und gucke was passiert. Diese Spontanität gehört zu uns und hat uns durchaus auch schon geschadet. Das gehört aber wie gesagt zur Authentizität dazu – dieser Mut, auch mal zu verlieren. Unsere Karnevalsbilder bringen uns hingegen gottseidank meistens Sympathie ein, egal wie albern wir aussehen. Wobei ich mich noch an einen Fall erinnere, da haben wir einen Job bei Siemens nicht bekommen, weil wir dem damaligen Leiter Unternehmenskommunikation zu frivol waren. Um mir das zu sagen, hat der mich extra nach München kommen lassen … ;-)

CG: Zum Schluss ein Blick in die Kristallkugel: Welche unternehmerischen Strategien werden in den nächsten Jahren Interesse wecken – und zum Beispiel aus interessierten Menschen Auftraggeberinnen und Auftraggeber machen?

CR: Darüber gibt es eine Menge schlauer Bücher, ich kann da nur die Kommunikationsperspektive beitragen: Such dir eine haltbare, zahlenmäßig ausreichende Zielgruppe aus und sei für die der sprichwörtliche Fels in der Brandung. Denn die Öffentlichkeit fragmentiert sich immer mehr – es ist unmöglich, es allen recht zu machen. Such dir aus, wer zu dir passt, zu wem du passt und dann sei ein verlässlicher Partner, Berater, Dienstleister, Bedürfniserfüller. Deine Zielgruppe muss wissen, was sie an dir hat und wofür du stehst.
Das klingt banal, hat aber einen Haken: Dein Wachstum ist gedeckelt durch die Größe dieser Zielgruppe. Ohne Schaden für Unternehmen und Marke kannst du nicht einfach eine neue Gruppe von Stakeholdern erschließen. Doch das Zeitalter des unbegrenzten Wachstums ist meines Erachtens vorbei, ökologisch und ökonomisch. In Zukunft musst du jemand sein, nicht irgendwer. Authentisch eben.

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Bildquellenangabe: Carsten Rossi

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