Ins Schreiben kommen

BLOGWICHTEL: Eins, zwei, drei – mit dem Schreiben starten ist keine Hexerei

Bekanntlich bin ich ja Mitglied im weltbesten Netzwerk, dem Texttreff. Dort haben wir eine schöne Tradition: Rund um die WeihnLogo Blogwichteln Texttreffachtszeit beschenken wir uns gegenseitig mit Blogbeiträgen! In dieser Saison darf ich nun diesen detailreichen und wunderbar inspirierenden Beitrag der Dozentin, Autorin und Lektorin Maike Frie veröffentlichen. Es geht um Schreiben, ums Überarbeiten, ums Dran bleiben, um Ideen, um Spiele – ach, lies einfach selbst ;-)


Schreiben kann … nun gut, nicht jede und jeder, aber doch die meisten. Denken wir zumindest von uns. Bis es nicht mehr um den Einkaufszettel oder die kurze Weihnachtskarte geht, sondern wir etwas schreiben müssen. Etwas Längeres. Etwas Strukturiertes. Dabei kann das „Schreiben müssen“ durchaus aus „Schreiben wollen“ sein. Denn wir wollen ja sichtbar sein – auf unseren Internetseiten, in unseren Fachbeiträgen oder durch unsere Geschichten, denn in meinem Falle dreht sich das Schreiben meist ums Kreative Schreiben, also um Kurzgeschichten oder Romanprojekte.

Die Methoden, wie man mit dem Schreiben startet, unterscheiden sich dabei nicht so stark voneinander wie die Texte, die entstehen. Du musst nur anfangen. Damit es dabei nicht gleich stockt, nun ein paar Tipps.

Kann man Schreiben und Überarbeiten gleichzeitig?

Flichart einfach anfangen von Maike FrieGanz klar: nein. Schreiben und Überarbeiten sind zwei unterschiedliche Phasen. Niemand muss – und kaum einer kann – mit dem ersten Entwurf einen brillanten Text abliefern. Fürs Schreiben tauchen wir in eine kreative Phase ab, auch gerne mal ins Unterbewusstsein. Damit wir das können, ist es wichtig, sich den Freiraum zu geben: Der erste Entwurf darf schlecht sein. Die innere kritische Stimme, die so gerne mäkelt und alles besser weiß, hat in dieser Phase nichts zu suchen. Denn nur, wenn ein Rohentwurf dasteht, kann man ihn überarbeiten, um den funkelnden Diamanten herauszuschleifen, um im Bild zu bleiben. Ohne Material hat man nichts, womit man arbeiten kann. Beim Überarbeiten – später – ist es dann gut, wenn wir pingelig sind und alles auf den Prüfstand stellen; zu dieser strukturierten und analytischen Phase passt das prima.

Schreiben kann man lernen – drei Erkenntnisse

Die wichtigste Erkenntnis beim Schreiben: Schreiben ist ein Handwerk. Und die handwerklichen Grundlagen kann man nicht nur erlernen, man sollte es auch tun. Gerade in meinem belletristischen Bereich hat sich lange der Genie-Gedanke gehalten, dass man nur lange genug im einsamen Kämmerlein sitzen muss, bis die Muse vorbeikommt, einen küsst und schon steht der geniale Erguss auf dem Blatt. Zum Glück ist dieser Irrtum weitgehend ausgeräumt und wir dürfen schreiben lernen, aus unseren Fehlern lernen, uns weiterentwickeln.

Darauf fußt die zweite Erkenntnis: Schreiben kann und muss man üben. Denk an berühmte MusikerInnen oder Sportlerinnen: Klar, ohne Begabung geht es nicht, aber ebenso wenig ohne Training. Auch der Schreibmuskel will arbeiten – und zwar am besten täglich. Wie bei allem Regelmäßigem stellt sich dann auch hier nach ein paar Wochen die Gewohnheit ein: Wer zum Beispiel immer morgens zwei Seiten schreibt, wird es vermissen, wenn es mal nicht klappt. Und durch die Wiederholung werden wir automatisch besser im Schreiben.

Eine weitere allgemeine Erkenntnis rund ums Schreibenlernen ist: viel Lesen. Auch dadurch trainieren wir unseren Schreibmuskeln, denn je mehr wir uns mit geschriebenen Worten beschäftigen, desto intensiver tauchen wir in diese Welt ein. Dabei kommt es nicht so sehr darauf an, was wir lesen, sondern mehr, dass wir es überhaupt tun. Denn beim Lesen erweitern wir unseren Wortschatz, merken, welcher Textaufbau gut funktioniert – und wenn wir dann beim Lesen innehalten und einen Text analysieren, bekommen wir mit ein bisschen mehr Übung auch heraus, warum –, finden heraus, warum uns manche Texte langweilen, wie andere ihre Informationen gut rüberbringen usw.

Und wie fängst du nun mit dem (regelmäßigen) Schreiben an?

Ein klassischer Tipp sind die Morgenseiten von Julia Cameron. Sie inspiriert dazu, jeden Morgen, sozusagen noch im Halbschlaf, einen gewissen Zeitraum alles zu notieren, was einem durch den Kopf geht. Auch gerne nur „was soll das ich bin noch müde und habe keine Lust zu schreiben“. Wenn man sich ein regelmäßiges Ziel setzt, zum Beispiel zehn Minuten oder zwei Seiten, führt das schließlich dazu, dass man doch über Dinge schreibt, die einen gerade bewegen, die am Tag anliegen oder über Nacht ins Unterbewusstsein gerückt sind.

Ebenso gut kannst du abends Tagebucheinträge verfassen und Revue passieren lassen, was am Tag geschehen ist, was du am nächsten Tag angehen möchtest. Beide Methoden lassen Schreiben zur Gewohnheit werden und helfen dabei, sich innerlich zu strukturieren.

Ähnlich funktioniert auch Freewriting, das viele SchreibtrainerInnen zu Beginn von Workshops nutzen. Man setzt sich an ein leeres Blatt und schreibt. Einfach drauflos. Fünf Minuten lang. Einzige Regel: Der Stift darf nicht abgesetzt werden. Kein Überlegen, kein Zurückgehen, kein Streichen, kein Überarbeiten. Auch hier drehen sich die ersten Gedanken oft darum, wie wohl man sich in der Situation oder Gruppe fühlt, ob man Lust auf die Übung hat, was kurz vorher passiert ist oder was noch zu erledigen ist. Lässt man sich jedoch auf dieses Experiment ein, kommen erstaunliche Dinge zutage. Diese Methode kann man ebenso gut (regelmäßig) für sich alleine einsetzen, denn auch in Gruppen werden die auf diese Weise entstandenen Texte nicht vorgelesen, sondern bleiben komplett privat. Auf Wikipedia kann man zum Freewriting noch ein bisschen nachlesen – auch welche Varianten sich dazu beim Kreativen Schreiben entwickelt haben.

Mit diesen Methoden eignen sich wunderbar zum Warmschreiben – und nebenbei etablierst du damit einen regelmäßigen Schreibrhythmus und entwickelst Schreibroutine. Die Zeitvorgaben lassen sich ausweiten oder man setzt sich anschließend an einen „richtigen“ Text.

Unter Druck fluppt’s

Zeitvorgaben waren gerade schon Thema. Interessant ist, dass Beschränkungen generell helfen, ins Schreiben zu finden. Je stärker wir uns durch Rahmenbedingungen Druck auferlegen, desto befreiter können wir uns auf den eigentlichen Kern konzentrieren. Denn da sind wir wieder bei der Angst davor, etwas Großartiges schaffen zu müssen – und das am besten auf Anhieb. Der vermaledeite Geniegedanke. Aber – wir erinnern uns – das Schreiben steht vor dem Überarbeiten. Wenn ich mir jetzt selbst zum Schreiben ganz strenge Regeln auferlege, kann ich mich auf diese Weise überlisten: Ja, wenn ich die und die und die Bedingung erfüllen soll, dann kann der Inhalt nicht auch noch toll werden. Und schon hat man etwas geschrieben. Etwas, das vermutlich wirklich nicht toll ist. Aber man hat eine Basis geschaffen, etwas, an das man sich mit etwas Abstand setzen und das man dann überarbeiten kann.

Welche formellen Vorgaben helfen, ins Schreiben zu kommen?

Als Zeitvorgabe den Wecker auf fünf Minuten – oder auch zwanzig – stellen und losschreiben. Weiterschreiben darf man immer, aber nicht vorher aufhören. Strukturvorgaben gibt es gerade beim Kreativen Schreiben viele. Hauptsächlich werden sie für Materialsammlungen genutzt. Deshalb eignen sie sich auch für Fach- und Sachtexte lassen.

  • Clustering: Gabriele L. Rico nutzt diese Methode fürs Kreative Schreiben – du schreibst einen Begriff in die Mitte eines großen Blattes und notierst von dort ausgehend Assoziationen, die dir zu diesem Wort (und den Folgebegriffen, die du notiert hast) kommen. So entsteht ein Ideennetz mit vielen Querverbindungen.
  • Mind-Map: Tony Buzan hat diese Gedächtnislandkarten als kognitive Methode entwickelt. Ähnlich wie beim Clustering, nur stärker strukturiert, sammelst du Assoziationen zu einem Ausgangsbegriff.
  • Brainstorming: Funktioniert am besten in der Gruppe. Zu einem Thema darf alles unzensiert gesammelt werden, was dir durch den Kopf geht. Ordnen kommt später.
  • ABCDarium: Schreib alle Buchstaben des Alphabets untereinander auf und finde zu jedem mindestens ein Wort – so erhältst du viel Material zu deinem Thema. Du darfst auch mehrere zu einzelnen Buchstaben finden, mindestens aber einen Begriff – so regst du durch die selteneren Anfangsbuchstaben tiefer ein.
  • Listen: Leg zu deinem Thema Listen an. Gerne mit Fragen als Überschriften. „Wenn ich mir eine Wunschkundin backen dürfte, hätte die …?“ Wichtig hierbei: nicht nur zwei, drei Punkte notieren, sondern zehn oder fünfzehn. Nur so stößt du zum (unbewussten) Kern vor, kurbelst dein kreatives Potenzial an.
  • Akrostichon: nur ein komplizierter Name, keine komplizierte Übung. Notiere dir einen Begriff aus deinem Gebiet und schreib dann einen Satz, bei dem jedes neue Wort mit dem nächsten Buchstaben beginnt. Mein Lieblingsbeispiel aus einer Kreativ-Werkstatt: G-E-N-I-E – „Gefrorene Entenbrüstchen nerven im Eintopf“.
  • Alliterationen: Bilde Sätze, bei denen jedes Wort mit demselben Buchstaben beginnt. Häufig kommen dabei schöne Überschriften heraus.
  • Sprichwörter: Pflück sie auseinander und setz sie neu zusammen beziehungsweise führe sie auf deine eigene Weise fort. Auch so findest du großartige Überschriften – oder hast zumindest viel Spaß, zum Beispiel mit „Wer andern eine Grube gräbt, ist meistens Gärtner.“
  • Feste lyrische Formen bieten dir einen Rahmen, bei dem du über die Gestaltung deines Textes nicht mehr nachdenken musst. Du kannst dich auf den Inhalt konzentrieren. Schlagworte dafür sind: Limerick, Schneeballgedicht und Haiku. Oder meine Lieblingsform, die Elfchen. Elf Wörter, die sich auf fünf Zeilen verteilen (1, 2, 3, 4, 1). Die kann man auch wunderbar mit mehreren entstehen lassen, indem man den Zettel, auf dem jeder die erste Zeile notiert hat, an die nächste Person weitergibt. Oder wie wäre es damit, mal – nach einem festen Schema – zu reimen?

Ein Bild schenkt uns mehr als tausend Worte

Beim Kreativen Schreiben sind Bildmotive ein Klassiker. Dazu eignet sich prinzipiell alles Illustrierte, zum Beispiel schlicht Postkarten. Davon kann man sich günstig eine Sammlung anlegen, immer mal wieder eine herauspicken und sich Fragen stellen wie:

  • Was wäre, wenn?
  • Was geschah davor?
  • Was passiert danach?
  • Was ereignet sich gerade hinter dem Bildrand oder an einer verdeckten Stelle auf dem Motiv?

Es gibt aber auch diverse Spielmaterialien, die die Fantasie anregen wie Geschichten-Erzähl-Kartenspiele. Gutes Material findet man zum Beispiel hier:

All diese Karten und Würfel laden dazu ein, sich ein Bildmotiv oder mehrere nacheinander anzuschauen und dazu eine Geschichte zu erzählen.

Ein Klassiker, für den man kein Material kaufen muss, ist Stadt, Land, Fluss. Statt der üblichen Kategorien lässt sich alles wählen, so auch Kategorien, die in deine Arbeitswelt passen (Gründe fürs Zuspätkommen, typische Meeting-Phrasen) oder zu aktuellen Projekten, mit denen man sich gerade gedanklich beschäftigt. Kleiner Haken: Dieses Spiel ist wesentlich lustiger und effektiver in der Gruppe – wie Brainstormen. Wer doch lieber auf vorgegebene Ideen zurückgreift, kann bei den Denkriesen tolle Vorlagenblöcke für die Variante „Stadt, Land, Vollpfosten“ bekommen.

Mit unserem Schreib-Grundmaterial, den Buchstaben, gibt es auch eine ganze Reihe von Spielen. Man kann sie klassisch durchspielen, zum Fantasie-Wörter-Erfinden nutzen oder um ähnliche Wörter zu entdecken. Klassisch sind Buchstabenwürfel oder Buchstabenplättchen. Hier kann man aus dem Vollen schöpfen und aus dem gezogenen Material Wörter zusammensetzen. So stellt man schnell fest, worum die eigenen Gedanken gerade kreisen. Und schon haben wir das Thema für den nächsten Text. Sie finden sich zum Beispiel in:

  • Scrabble
  • Wörter-Kniffel-Spielen
  • in Bastelläden (oft zum Auffädeln für Ketten)
  • als Buchstabennudeln oder Buchstabenkekse

Bei anderen Spielen geht es darum, geschickte Erklärungen zu finden (zum Beispiel Tabu oder Nobody’s perfect). Auch das kann man fürs eigene Themengebiet nutzen. Wie beim Clustern entdeckt man so neben dem zentralen Ausgangswort weitere Begriffe, die man in seinen Texten unterbringen möchte, findet Synonyme, um nicht dieselben Wörter zu häufig zu wiederholen und eignet sich überhaupt einen größeren Wortschatz an. Dazu benötigt man keine gekauften Spiele – vor allem nicht, wenn man nur die Funktion der Spiele nutzen, sie nicht in der Gruppe durchspielen möchte –, sondern kann sich auch selbst Karten zu Begriffen zusammenstellen.

Wo findest du spezielles Wortmaterial?

Es gibt eine Reihe von Büchern, die besondere Wörter sammeln, zum Beispiel aus dem Duden-Verlag, aber auch in den Büchereien wird man fündig. In solchen Büchern zu blättern, sich inspirieren zu lassen und mit den Wörtern darin zu arbeiten, regt unsere Fantasie an. Zum Beispiel gibt es Sammlungen von Wörtern, die aus unserer Sprache verschwinden; manche aus guten Gründen, weil sie Gruppen abgewertet haben, andere, weil es die Gegenstände, die sie bezeichnet haben, nicht mehr gibt, wie die Wählscheibe. Dann gibt es Wörter, die in ihrer Sprache einzigartig sind – und nicht zu übersetzen scheinen. Auf Isländisch bezeichnet man Wetter, bei dem man es sich lieber drinnen gemütlich macht, als rauszugehen, als gluggavedur, also Fensterwetter. Vielleicht findest du ja in anderen Sprachen spezielle Ausdrücke auf deinem Gebiet, die du neu im Deutschen etablieren kannst? Kreativ darüber nachzudenken, lohnt sich auf jeden Fall.

Mit all diesen Methoden können wunderbare Rohtexte entstehen. Immerzu frisch ans Werk! Denn nur, wenn der erste Schritt, das Schreiben, aus dem vielfältigen Hin- und Herüberlegen ins kreative Tun geholt wurde, können wir den zweiten Schritt gehen, das Überarbeiten. Und so zu den Texten kommen, die wir uns wünschen.

Viel Freude beim Ausprobieren, Losschreiben, Liegenlassen und späteren Wundern, was dabei doch bereits alles Tolles herausgekommen ist.

Bilder: Maike Frie

8 Kommentare zu „Ins Schreiben kommen“

  1. Sehr schöne Tipps! Und das Feine daran ist: Man muss sie nicht alle auf einmal beherzigen, sondern kann seine Lieblingsmethode herausfischen und anwenden (und wenn sie nicht mehr „Liebling“ genug ist, um zu wirken, kann man sie problemlos austauschen).

    1. Liebe Elke,

      klar – man kann frei auswählen und die eigenen Vorlieben berücksichtigen. Und beim Schreiben gilt ja sowieso immer, dass nix in Stein gemeißelt ist ;o)

      Liebe Grüße sendet
      Christa

  2. Liebe Christa,
    ein wunderbar inspirierender und hilfreicher Blog(Wichtel)Beitrag von Maike.
    Gerade, wenn ich mal wieder einen Hänger habe – und der kommt immer wieder mal – werde ich mir daraus die nötige Motivation holen.
    Danke euch beiden und liebe Grüße, eure Textinen-Kollegin Simone

  3. Liebe Christa,

    die (Texter-)Welt ist ein Dorf! Ich kannte Maike bisher nur als Lektorin (meines Romans, ha) und entdecke nun hier bei dir eine Essenz aus ihren Schreib-Workshops. Schöne Tipps sind dabei – ich denke, ich werde mir demnächst mal eine Wunschkundin backen ;) Also, vielen Dank für diesen wieder neu zum Netzwerken inspirierenden Beitrag!

    Mit vielen Grüßen aus einer weiteren Zweigstelle in der Texter-Welt
    Britta

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