4 Gründe, warum wir die Sozialen Netzwerke verbieten* sollten.
Social Media verbieten? Ahhhh ja. “Nun flippt die Goede endgültig aus”, denkst du bestimmt gerade. Aber ich meine diese Forderung tatsächlich ernst. Zumindest dann, wenn es um Social Media im derzeitigen Zustand geht. Und zwar aus vier Gründen:
1. Die sozialen Netzwerke sind asoziale Netzwerke – dafür sorgen Menschen und Algorithmen.
Hass und Angst sind starke Gefühle, denen wir kaum etwas entgegensetzen können. Menschen, die hassen oder Angst haben, sind für rationale Argumente nicht mehr zugänglich – auch Liebe als Antwort funktioniert nicht! Im Gegenteil: Wenn ich im Internet Hatern freundlich und zugewandt gegenübertrete, verstärke ich in vielen Fällen deren Hass noch. Manchmal geht das sogar so weit, dass ich für mein Verständnis und mein Engagement ebenfalls gehasst werde – weil ich zum Beispiel mit Geflüchteten arbeite. Dann bin ich – und natürlich auch andere, die sich in Social Media gegen den Hass engagieren – automatisch an jeder Straftat mit schuld, die von Geflüchteten verübt wird. Und uns werden derartig üble Dinge gewünscht, dass ich sie nicht hier wiederholen möchte.
Viele Menschen sehen sich auch nur noch als Opfer. Opfer der “Wir schaffen das!”-Ansage, Opfer der Automobilindustrie/des Dieselskandals/der Deutschen Umwelthilfe, Opfer irgendwelcher dubios bleibender Mächte im Hintergrund, die “uns” schaden wollen. Das war vermutlich schon immer so, klar. Aber mit Social Media wurden diese Stimmen lauter und sichtbarer. Sie versammeln sich zum Beispiel in Facebook-Gruppen, wo sie sich gegenseitig weiter aufstacheln mit Hasspostings und gefälschten Inhalten.
Jetzt kommen die üblen Algorithmen gleich auf zwei Arten ins Spiel:
- Den Algorithmen ist es erst mal schnurzpiep, ob ein Posting inhaltlich richtig ist und ohne negative Emotionen auskommt. Oder ob es zum Beispiel Falschmeldungen beinhaltet und hetzerisch aufbereitet ist. Algorithmen merken, dass dieses Posting geteilt wird, also wichtig sein muss. Und vergrößern automatisiert die Reichweite dieses Postings.
- Die Algorithmen steuern nun dieses Posting automatisiert Menschen zu, die bereits ähnliche Postings gelikt, geteilt oder sogar kommentiert haben. So entstehen dann sogenannte Filterblasen, in denen die Menschen praktisch nur noch Hasspostings und Fehlinformationen finden.
Auf diese Weise werden aus sozialen Netzwerken asoziale Netzwerke, die vor Hass überlaufen und in denen die Postings immer extremer werden – bis hin zu übelsten Gewaltfantasien. Da hier die staatliche Kontrolle fast vollständig fehlt und zum Beispiel Facebook bis heute keine funktionierenden Strukturen für die Meldung von solchen Ekelinhalten hat, kann sich der Hass ungebremst weiter verbreiten. Verstärkt wird dieses Phänomen noch von Trollkommandos, die diese emotional negativ aufgeladenen Inhalte gezielt in die Welt setzen und so mit den manchmal berechtigten Ängsten der Menschen spielen.
2. Clickbaiting betreiben alle – von Privatpersonen über Unternehmen bis hin zu den Medien.
Hand aufs Herz: Hast du wirklich noch nie einen Postingtext noch mal überarbeitet, um ihn interessanter zu machen? Um ihn positiver zu schreiben? Auffordernder zu gestalten? Hast du wirklich noch nie für ein Foto einen starken Filter genutzt, um aus der sprichwörtlichen Scheiße Gold zu machen? Etwas bewusst weggelassen, obwohl es für den Gesamteindruck wichtig gewesen wäre? Ich hab das alles schon getan – für mich privat und natürlich auch für meine Kundinnen und Auftraggeber. Manchmal hatte ich viel Spaß bei dieser professionellen Behübschung, aber manchmal auch ein schlechtes Gewissen. Denn das Ergebnis hatte manchmal nur noch recht wenig mit der Realität zu tun – und das macht mir Bauchweh.
Bei Unternehmen kann ich diese spezielle Form der Inhaltsaufbereitung noch verstehen, denn Werbung funktioniert nun mal über die Zurschaustellung der positiven Seiten. Wobei ich die Influencer-Exzesse auf Instagram wirklich gruselig finde – und davon überzeugt bin, dass diese “Perlen” langfristig sogar geschäftsschädigend wirken werden.
Richtig schlimm wird Clickbaiting meiner Meinung nach dann, wenn Medien es betreiben: Mittlerweile kreieren auch eigentlich seriöse Medien Headlines und Teasertexte, die nur noch sehr wenig mit dem eigentlichen Inhalt des Textes zu tun haben. Für die Aufmerksamkeit wird hier alles getan … immer mit dem Wissen, dass viele Menschen die Texte gar nicht mehr lesen, um sie in Social Media zu kommentieren. Da wird munter drauf losgepoltert, vermutet, gedisst und Zusammenhänge hergestellt, bei denen sich meine Fußnägel aufrollen.
Wenn diese Magazine, Zeitungen und Portale dann nicht mal ein vernünftiges Community-Management haben, werden diese Ramschbeiträge nicht moderiert – die Gegenrede und Korrektur bleibt wackeren Menschen überlassen, die sich zum Beispiel unter Hashtags wie #wirsindmehr oder #ichbinhier versammeln. Klar, das ist ein ziemlich günstiges Geschäftsmodell für die Medienkanäle … aber ob solche, größtenteils unmoderierten Social-Media-Auftritte wie dieser oder dieser tatsächlich zum guten Ruf einer Publikation beitragen, darf wohl bezweifelt werden. Passend dazu wurde am Sonntag, den 20.1.2019, auf der Infoseite des Vereins #ichbinhier ein “Offener Brief an Online-Redaktionen und Journalisten” veröffentlicht – dort finden sich konkrete Forderungen, die ich alle unterstütze.
3. Es gibt immer mehr Informationen – gleichzeitig wird die Überprüfung der Inhalte immer schwieriger.
Ich habe eine goldene Social-Media-Regel: Was ich nicht überprüfen und damit validieren kann, teile ich nicht. Denn wenn ich mir nicht ganz sicher bin, dass ein Inhalt korrekt ist, werde ich unter Umständen Motor einer ganzen Industrie, die mit gefälschten Nachrichten eine Menge Geld verdient. Diese Fälschungen gibt es mittlerweile in allen Bereichen: von der Politik über den Lebensstil und die Wissenschaft bis hin zu Tagesgeschehen auf dieser Welt. Doch ich bemerke, dass ich immer länger brauche, um Nachrichten zu checken: Gerade, wenn es um aktuelle Nachrichten geht, ist es zumindest in den ersten Stunden fast unmöglich, mehrfach überprüfbare Inhalte zu finden – obwohl die Anzahl der Tools für den Faktencheck stetig wächst. Also habe auch ich schon Links geteilt, in denen echter Bullshit stand, wie ich später bemerkt habe. In diesem Fall habe ich das Posting umgehend gelöscht!
Noch schwieriger wird es, wissenschaftliche Inhalte auf ihren Wahrheitsgehalt hin zu überprüfen: Hat der Journalist die Inhalte der Studie tatsächlich korrekt wiedergegeben? Entspricht die Entstehung der Forschungsergebnisse den wissenschaftlichen Standards? Solche tiefen Recherchen würden viel Zeit kosten – Zeit, die ich wie viele andere auch nicht habe. Und auch Zeit, die ich nicht aufbringen möchte für ein schnelles Posting in Social Media. Da es anderen wohl genau so geht wie mir, lese ich mittlerweile Postings in meiner Timeline, die auf reine Propagandaplattformen (nein, ich nenne hier keine!) verlinken. Und das, obwohl meine Filterblase eigentlich eine aufgeklärte und sorgfältige ist.
Darauf angesprochen argumentieren die Absendenden meistens mit “Aber der Artikel ist doch gut!” oder “Klar, ich weiß, dass das ne Schrott-Plattform ist. Aber meine Freundinnen und Freunde können damit umgehen!” Dass sie mit dem Teilen ganz nebenher die Reichweite dieser Ramschinhalte vergrößern, übersehen diese Menschen gerne – womit wir wieder bei Grund 1 wären.
4. Soziale Netzwerke bestimmen den politischen Diskurs – und gefährden Menschen und ganze Staaten.
Ein paar Beispiele gefällig?
- UN-Beobachter geben Facebook eine Mitschuld am Genozid an den Rohingya in Myanmar.
- In Indien wurden mindestens sechs Menschen von Lynchmobs ermordet – Auslöser waren Gerüchte, die über WhatsApp verbreitet wurden.
- Cambridge Analytica: Ein Datenleck bei Facebook hat Donald Trump mit ziemlicher Sicherheit zum Sieg verholfen.
- Der Schweizer Journalist Fabian Eberhard erhielt allein auf Twitter 70.000 Hassnachrichten, nachdem er über einen Aufmarsch polnischer Neonazis berichtet hatte.
- Der Journalist Richard Gutjahr kämpft seit Jahren gegen Verschwörungstheorien und deren Verbreitung via Social Media, denn er wurde selbst zur Zielscheibe.
- Die Facebook-“Leave-Kampagne” zum Brexit wurde aus Russland unterstützt und mithilfe von Cambridge Analytica gesteuert.
- Laut Amnesty International grassiert auf Twitter der Hass gegen Frauen ganz besonders extrem.
Gegenmaßnahmen? Wenig heiße Luft, noch weniger konkrete Taten – wer jemals strafbare Inhalte bei den Sozialen Netzwerken gemeldet hat, mag das Wort “Gemeinschaftsstandards”, gegen die der gemeldete Inhalt nicht verstößt, nicht mehr lesen. Doch warum sollten sich die Netzwerke auch kümmern? Sie haben mit unserer tatkräftigen Unterstützung Räume geschaffen, in denen ihre eigenen Gesetze gelten. Und so sind zum Beispiel auf Facebook Brustwarzen verboten, aber extreme Gewaltdarstellungen oder Holocaust-Leugnungen erlaubt.
Ich habe fertig. Und einige Ideen.
Grmpf, dieses Auskotzen war wichtig für mich! Wer dieses Blog schon länger liest, weiß, dass ich eigentliche glühende Verfechterin von Social Media bin – und dass mir dabei Facebook ganz besonders am Herzen liegt. Oder besser lag. Denn hier haben knallharte wirtschaftliche Interessen dazu geführt, dass sich dieses Soziale Netzwerk sehr gut sichtbar von selbst zerstört. In meiner Timeline geben immer mehr Menschen ihren Rückzug aus Facebook bekannt, und auch erste Unternehmen ziehen die Notbremse.
Doch auch zu Twitter, Instagram oder in WhatsApp mehren sich die kritischen Stimmen: Denn auch hier sind intransparente Systeme entstanden, die wirtschaftliche Interessen über menschliche Interessen stellen. Und die sich einen Teufel scheren um rechtliche Vorschriften wie den Datenschutz. Die strafrechtliche Aufarbeitung der zahlreichen Vorkommnisse scheint unmöglich, genauso wie die Durchsetzung der geltenden Vorschriften. Von daher hilft wohl nur ein Verbot*. Absurd, ich weiß. Und vermutlich genauso wenig durchsetzbar wie wirksame Kontrollen bei diesen mächtigen Firmen.
Social Media mit Gebühr?
Meiner Meinung nach ist es Zeit für ein Netzwerk, in dem die Menschen zum Beispiel selbst bestimmen, welche Daten sie mit den Unternehmen teilen und welche nicht. Das könnte zum Beispiel über ein Bezahlmodell erfolgen: kein Datenschutz = keine Gebühr, Datenschutz = monatliche Gebühr. Wichtig wäre auch, dass das neue Netzwerk transparent arbeitet und sich so das Vertrauen der Menschen verdient. Außerdem sollte es klare Regeln geben, welche Inhalte erlaubt sind und welche nicht – diese Regeln müssten sich wohl auch von Land zu Land unterscheiden. Außerdem dürfte dieses Netzwerk die Kontrolle der Inhalte und die Steuerung der Algorithmen nicht in der hauseigenen Dunkelkammer vornehmen, sondern müsste sich zum Beispiel externen Prüfinstituten, NGOs oder Universitäten öffnen.
Mehr Medienkompetenz!
Ferner brauchen wir endlich das Schulfach Medienkompetenz und natürlich auch Kurse für Erwachsene. Denn selbst in meinem Freundeskreis gibt es Nametest-Opfer und Analysespielchen-Junkies, die allzu gerne ihre eigenen Daten und Inhalte mit dubiosen Unternehmen teilen – und die ihrer Freundinnen und Freunde gleich mit. Ach ja, und wir brauchen eine Gesetzgebung, die mit dem digitalen Wandel mithalten kann und nicht wie bisher Jahre oder sogar Jahrzehnte hinterherhinkt. Okay, jetzt gleite ich endgültig in das Reich der Fantasie ab … ;-)
Was wir selbst tun können.
Gegenreden. Fakten teilen. Stellung beziehen. Besonnen argumentieren, Nicht über jedes Stöckchen springen. Nicht jeden Scheiß teilen. Gedisste Menschen unterstützen. Als Privatperson genau wie als Unternehmen. Dafür habe ich in diesem Blogbeitrag schon 2016 elf Regeln entwickelt:
1. Ich muss nicht alles lesen, bloß weil ich es kann.
2. Ich muss nicht alles kommentieren, bloß weil ich es kann.
3. Ich muss es nicht aushalten, wenn mich jemand übel angeht.
4. Ich darf zurückübeln – wenn ich genau erkläre, warum ich das tue. Oder blockieren.
5. Ich denke mehr über die guten Dinge dieser Welt nach.
6. Ich kommuniziere mehr über die guten Dinge dieser Welt.
7. Ich helfe da, wo ich kann.
8. Ich akzeptiere andere Meinungen*, auch wenn ich sie nicht mal im Ansatz verstehen kann.
9. Ich lästere nicht über Menschen, die einen anderen Weg gehen als ich.
10. Ich lasse mich nicht anstecken von Wut oder Aggression und spekuliere nicht.
11. Ich halte mich an die Punkte 1 bis 10. Immer.
* Rechtsextremismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen.
Küsschen, deine Christa
Bildquellenangabe: Pixabay
Noch was, Christa
Wer ständig Meldungen in Social Media überprüft, der verliert den Fokus. Den Fokus für die wirklich wichtigen Dinge.
Wer sich ständig unterbricht, holt nicht das Maximum aus sich heraus und macht womöglich viele Fehler.
Hallo Walter,
so ganz verstehe ich deine Anmerkung nicht: Sollen wir nicht mehr prüfen? Nicht mehr teilen?
Klar, im Zweifel lasse ich auch etwas weg. Aber ich recherchiere vorher, wenn ich Zweifel habe. Ist eigentlich recht einfach und dauert nicht soooo lange in den meisten Fällen ;o)
Viele Grüße sendet
Christa
Ich dachte eher an einen 5. Grund.
Nicht alle paar Minuten SM-Beiträge lesen und sich dadurch in der Arbeit stören lassen.
Wenn das deine Methode ist – prima! Ich hingegen lebe zum Teil davon, Informationen schnell zu kennen und ggf. auch für meine Kundinnen und Kunden zu teilen.
Das mag also jede/r halten, wie er/sie/es mag ;o)
Liebe Grüße sendet
Christa
Pingback: Was ist Social Media?
ich finde es ist arrogant wenn man alleine schon etwas postet. Auch wenn es so harmlos aussieht. Und ein weiterer Grund ist weil man so schnell aneinander gerät mit Leuten. Manchmal trifft man auf content wo man sich denkt wie gesunken ist das Niveau dieser Menschen.
Tja – ich weiß auch keine Antworten mehr. Außer: Verbietet Social Media!
Viele Grüße sendet
Christa