“An Teflon rutscht man ab.”
Wibke ist mir schon vor vielen Jahren im Internet über den Weg gelaufen – als ich Patin für Worte auf ihrer Wortweide wurde. Real getroffen haben wir uns erst ein einziges Mal! Ich bin großer Fan von Wibkes Arbeit, denn sie ist sehr persönlich und berührt mich oft emotional. Unvergessen zum Beispiel, wie sie einen kleinen Plüschkraken auf der Straße gefunden hat … hach! Aber dazu erzählt sie selbst gleich mehr:
CG: Authentizität wird gerade zu einem Modebegriff – immer mehr Unternehmen schreiben sich Echt sein auf die Fahnen. Welche Bedeutung hat Authentizität für dich und deine Arbeit?
WL: Ohne Authentizität wäre meine Arbeit nicht denkbar. Zumindest wenn man den Begriff im eigentlichen Sinne versteht, nämlich hergeleitet aus dem Lateinischen: authenticus = verbürgt, zuverlässig, eigenhändig. Ich habe den Eindruck, Authentizität wird mitunter missverstanden: Die einen glauben, auf nichts mehr etwas geben zu müssen und marodieren entfesselt und affektgesteuert im Internet herum. Die anderen machen Authentizität an Attributen wie Mittagessen-Postings oder kontextlosen Selfies fest. Wie so oft bei Begriffen, die als Buzzwords wild in der Gegend herumgeschleudert werden, lohnt es sich, ihre Herkunft und Entwicklung zu betrachten. Wenig von dem, über das wir tagtäglich sprechen, ist wirklich neu. So ist es auch mit der Authentizität. (Nebenbei bemerkt: ein schlimmer Zungenverdreher.)
Wenn wir Authentizität im Zusammenhang mit Marketing betrachten, geht es um eine Deckung von Markenversprechen und Inhalt. Und hier komme ich auf meine Arbeit zurück, in der es mir darum geht, mithilfe von Storytelling das Einzigartige und Unverwechselbare einer Marke oder einer Institution sichtbar zu machen. Das gilt natürlich auch für mich. Als Einzelunternehmerin bin ich durchaus auch ein Unternehmen mit einem Nutzungsversprechen. In meinem eigenen Interesse versuche ich das sehr klar und authentisch zu leben, denn dadurch finden meine Wunschkunden zu mir.
CG: Welche Plattformen benutzt du für deinen unternehmerischen Außenauftritt? Verwendest du dort spezielle Stilmittel?
WL: Social Media spielt in meinen Projekten eine große Rolle, weshalb ich auf verschiedenen Plattformen aktiv bin und auch neue Dienste recht früh daraufhin teste, ob sie für Kundenprojekte oder meine eigene Kommunikation Möglichkeiten bieten. Meine Basisstation ist meine Website, die allerdings in die Jahre gekommen ist und dringend einer Renovierung bedarf. Mein Großprojekt 2015, quasi. Dort blogge ich auch über Themen, die in direktem Zusammenhang mit meiner Arbeit stehen.
Twitter und Facebook sind meine Großraumbüros und zugleich Denkarium, Dokumentationszentrum, Kaffeehaus und Kasperletheater. Dort kann man jederzeit den Wasserstand ablesen und erfährt, was mich umtreibt. Außerdem betreibe ich bei Facebook diverse Seiten für Projekte. Nicht mehr wegzudenken ist mein Büroleiter, der Findelkraken, der inzwischen eine kleine Berühmtheit und etwa bei meinen Workshops heiß begehrt ist. Instagram ist mir ebenfalls fest ans Herz gewachsen wie Tumblr, wo ich diverse Blogprojekte pflege: mein persönliches Blog, ein Kochblog, Lakritzel und #printtwitter. Eine Weile hatte ich Ello sehr gern, aber momentan liegt dieser Acker der Kreativität brach. Vine, Spreaker, Slideshare, Youtube, Google+, Pinterest, Soundcloud, XING, LinkedIn – die Nutzung entscheidet sich weniger nach dem Dienst als vielmehr nach Inhalt und Publikum. Eine Auswahl meiner Accounts findet man bei sinnundverstand.flavors.me.
Als Stilmittel setze ich gern wiederkehrende Elemente in Wort und Bild ein. Und hepp! Es gibt Geschichten, die sich durchziehen, Redewendungen, Wortspielereien – und meine Kritzeleien, mit denen ich seit einigen Jahren meine Blogbeiträge, Social-Media-Kanäle und auch meine Präsentationen garniere.
CG: Als Social Web Ranger entwickelst du Storytelling-Konzepte für Unternehmen, du hältst ganz wunderbare Vorträge auf der re:publica und du organisierst mit den Herbergsmüttern Events zur Kulturvermittlung und Kreativität. Außerdem bist du die Herrin über das Abendbrot und postest oft Fotos und Rezepte aus der Ladwig‘schen Küche, bei denen mir regelmäßig das Wasser im Mund zusammen läuft. Doch eins ist immer gleich: Man erkennt Wibke in allem, was du tust. Wie machst du das?
WL: *glucks* Öm. Schwierige Frage. Für mich selbst faszinierend, dass sich dafür sogar ein Begriff findet: Profilagentin Kixka Nebraska bezeichnet das als „Digitale Szenografie“. Ich denke, offen gesagt, nicht sehr viel darüber nach. In allen Äußerungen spiegelt sich lediglich mein Blick auf die Welt. Ich denke viel darüber nach, wie Menschen einander verständlich machen können und welche Rolle Kunst und Kultur, aber natürlich auch gepflegter Schabernack dabei spielen. Es geht natürlich auch um Haltung. Die sucht sich dann über alles, was ich mache, seinen Weg. Es ist mir wichtig, dass man erkennen oder immerhin ahnen kann, worum es mir geht, ohne dass ich es erklären muss. Show, don’t tell. Dass ich zum Storytelling als meinem Kernthema gefunden habe, ist kein Zufall. Ich sehe überall Geschichten, ob ich mit einem Unternehmen arbeite, über die Straße gehe oder koche. Und Geschichten wollen vor allem eins: erzählt werden. Ob in Wörtern oder Bildern.
CG: Was glaubst du: Warum ist es so schwer, individuelle Wege zu beschreiten und zu den Facetten seiner Persönlichkeit zu stehen?
WL: Wenn einem selbst es eher leichtfällt, sich den anderen im So-Sein zuzumuten, ist man rasch verleitet, ein »Papperlapapp!« zu rufen und dasselbe von anderen zu verlangen. Die Gemengelage dürfte bei jedem eine andere sein. Ich schätze unsere Jetzt-Zeit, weil ich den Eindruck habe, dass wir unsere Lebensentwürfe selten so frei wählen konnten, gerade als Frau. Trotzdem begreife ich, dass es immer noch Zwänge gibt, die eine freie und selbstbewusste Entfaltung erschweren.
Ich vermute aber auch, dass die Sorge vor Blamage und Ablehnung von einem eigenen Weg abhält. Dabei hat doch irgendjemand immer etwas zu bemängeln, egal was man tut. Man kann es nicht allen recht machen. Und wer würde das ernsthaft wollen? Aber in Ausbildung und Studium wird der eigene Ausdruck nicht unbedingt gefördert. Da spielen Kommunikationsstandards eine ebenso große Rolle wie Best-Practice-Beispiele, die munter kopiert werden. Persönlichkeit, Kreativität und individueller Ausdruck stehen zwar als Anforderung gern in Stellenbeschreibungen, aber spielen eher als Brosche am Revers eine Rolle.
Wenn also sowieso immer jemandem etwas an uns zu bemängeln hat, kann man doch gleich so leben und arbeiten, wie man es selbst für richtig hält. »Ist der Ruf erst ruiniert, lebt’s sich völlig ungeniert.“ Ich konnte viel befreiter aufspielen, als ich diesen Spruch verinnerlichte und meinen eigenen Überzeugungen gefolgt bin. Umso erstaunlicher, dass sich daraus erst ein gewisser Ruf entwickelt hat. Aber ist das wirklich erstaunlich? Wenn man Menschen Ecken und Kanten gibt, können sie sich daran festhalten. An Teflon rutscht man ab.
Mir ist bewusst, dass es Menschen gibt, die mit meinem Auftreten und meinen Inhalten nichts anfangen oder sich gar darüber empören können. Aber die positiven Erfahrungen überwiegen bei Weitem. Je weniger ich mich verbiege und je mehr ich meinen Überzeugungen und Ideen Ausdruck verleihe, desto erfreulicher werden die Begegnungen mit anderen Menschen wie auch die Projekte und Aufträge.
CG: Nach gängiger Definition resultiert Authentizität aus einem Sieg des Seins über den Schein. Doch für mich als Unternehmerin ist es nicht immer einfach zu entscheiden, wie weit meine Echtheit auf professioneller Ebene gehen darf. Wie erlebst du diese Auseinandersetzung? Hat Authentizität Grenzen?
WL: Ich verstehe Authentizität eher als Übereinstimmung von Schein und Sein. Als Unternehmerin fühle ich mich sogar verpflichtet, echt zu sein, also voll und ganz hinter meiner Arbeit zu stehen. Damit komme ich auch meiner eigenen Fürsorgepflicht nach: Ich kann nur so gut arbeiten, wie ich es tue, wenn ich mich nicht verbiegen muss. Denn das kostet Kraft, die ich lieber in meine Projekte oder in Zeit mit meinen Lieblingsmenschen, mit Pferden oder mit mir selbst gebe.
Aus diesem Grund liegt mein Fokus auch auf Unternehmen mit einer gesunden Unternehmenskultur. Es gibt Unternehmen, für die ich niemals arbeiten werde. Mir persönlich geht es darum, mit ermutigenden, nachhaltigen und inspirierenden Projekten die Welt ein wenig besser zu machen und »die Richtigen« zu ermächtigen, den digitalen Raum für sich und ihre Ideen zu nutzen.
CG: Mit Authentizität gehen Begriffe einher wie ….
a. Persönlichkeit
b. Ausdruck
c. Kreativität
Meines Erachtens sind diese drei Begriffe eng miteinander verwandt. Authentizität nimmt man rasch als leer bis bedrohlich wahr, wenn man nicht »das eigentliche Sein« erkundet und mit dem äußeren Schein übereinander bringt. Interessanterweise ist eine vorgetäuschte Authentizität recht gut spürbar, insbesondere in Social Media, wo die Unmittelbarkeit und Rasanz der Kommunikation wie auch die einfache Nachverfolgbarkeit von Äußerungen Brüche und Widersprüche zum Vorschein bringen.
Man macht sich das Leben also schlicht einfacher, wenn man seine Persönlichkeit erforscht und ausprobiert, wie man diese zum Ausdruck und mit den unternehmerischen Zielen kreativ in Einklang bringen kann.
CG: Was glaubst du: Warum werden öffentliche Gefühlsausbrüche von Persönlichkeiten heute besonders geschätzt? Der Wutausbruch von Bundesaußenminister Steinmeier hat viel öffentliche Bewunderung erfahren und ist zum echten Youtube-Hit geworden mit mittlerweile mehr als 2,6 Mio. Klicks.
WL: Ich bin in einer Zeit politisch sozialisiert worden, als Leidenschaft und Persönlichkeit im Bundestag noch gang und gäbe waren. Unvergessen die Reden etwa eines Herbert Wehners. Deshalb nehme ich die Herrschaften in der aktuellen Politik als recht blutleer und bürokratisch wahr. Dass es gleich als Wutrede bezeichnet wird, wenn mal jemand etwas heftiger wird, finde ich fast komisch.
Aus dem Politikbetrieb sind so selten Sätze zu hören, die hängen bleiben, dass sich in dem großen Interesse vielleicht eine Sehnsucht nach einem unbestimmten Mehr spiegelt.
CG: Zum Schluss ein Blick in die Kristallkugel: Welche unternehmerischen Strategien werden in den nächsten Jahren Interesse wecken – und zum Beispiel aus Interessenten Käufer machen?
WL: Ich meine festzustellen, dass die Inhalte selbst mehr in den Mittelpunkt rücken. Jahrelang haben wir nun alle auf Technologien gestarrt. Andere haben iPads verlost oder waren auf Teufel komm’ raus berufslustig. Es lag glücklicherweise auch immer wieder was Neues in der Werkzeugkiste, um die man trefflich herumstehen und fachsimpeln konnte. Und jetzt?
Es wird immer klarer, dass die Digitalisierung und der damit verbundene Medien- und Kommunikationswandel Veränderungen in den Unternehmen erforderlich macht. Weil sich die Gewohnheiten und Bedürfnisse nicht nur der Kunden verändern, sondern auch der Mitarbeiter, Dienstleister und Geschäftspartner. Weil man nicht immer noch mehr zusätzlich oder nebenher machen kann, während man alle anderen Abläufe weiterlaufen lässt wie bisher. Weil in Ländern um uns herum viele Entwicklungen viel rascher und selbstverständlicher ablaufen als in Deutschland.
Wer sich hier als Unternehmer seine Arbeitsabläufe vornimmt, Gewohntes hinterfragt und vor allem die Bedeutung von Markenbildung, Kreativität und gesundem Improvisationsvermögen versteht, ist im Vorteil. Meinem Eindruck nach wird Werten wie Vertrauen, Wertschätzung und Respekt wieder mehr Beachtung zuteil. Kaufentscheidungen wie auch Empfehlungen werden emotional getroffen, wenn man sich nicht unbedingt im preissensiblen Massenmarkt bewegt. Hier kommt Storytelling ins Spiel. Bemerkenswert ist, dass es im Grunde um kaum etwas anders als die gute, alte Markenbildung geht. Vor lauter Buzzword-Ringelreihen und Aktionismus kam nur kaum jemand dazu, sich ernsthaft damit auseinanderzusetzen. Und in dieser Hinsicht meine ich eine Rückbesinnung festzustellen, die sich auch auf die Beziehung zu Kunden auswirken wird.
CG: Danke, liebe Wibke, für dieses spannende Interview!
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Bildquellenangabe: Wibke Ladwig