Die Social Media-Hölle

Provokation, fehlende Moderation und schmutziges Facebook-Gold.

Monster aus der Social Media HölleAls Social Media-Managerin und Texterin bin ich jeden Tag viele Stunden auf Facebook unterwegs – schließlich ist es Teil meines Jobs, Websites und die dazugehörigen Social-Media-Kanäle zu pflegen. Darüber hinaus bin ich als Diplom-Politologin am täglichen Weltgeschehen interessiert: Ich lese globale Newsportale genau wie die Onlineauftritte diverser deutscher Zeitungen und Zeitschriften. Wenn ich ganz mutig bin, lese ich manchmal sogar die Kommentare – auf Facebook genau so wie auf den Websites. Und Mut brauche ich sehr viel dafür, denn was mir da an geballtem Hass und – Entschuldigung – gequirlter Scheiße entgegen sprudelt, macht mich manchmal sprachlos.

Meiner Meinung nach sollte jede Fanpage sorgfältig von Spezialisten gepflegt und moderiert werden – Fachleuten, die wissen, wie Worte wirken können und die ihr Möglichstes tun, um für ein friedliches und respektvolles Miteinander der Leser und Kommentatoren zu sorgen. Auf vielen Fanpages klappt das auch sehr gut: So gibt es einige professionell gepflegte Kanäle – zum Beispiel die Facebook-Auftritte der Süddeutschen Zeitung, der ZEIT und sogar der Springer-Publikation WELT. Hier wird tatsächlich moderiert, die Betreuer der Seiten diskutieren selbst aktiv mit und schreiten ein, indem sie zum Beispiel Streit schlichten, auf die Netiquette verweisen und im Notfall auch mal jemanden blockieren. So weit, so wunderbar!

Die Social Media-Hölle.

Und dann gibt es leider auch noch die zweite Sorte Kanäle: Dort arbeiten Social-Media-Manager, die ihren Höllen-Job vermutlich ebenfalls sehr ernst nehmen. Doch leider haben diese speziellen Kanäle eine andere Intention und gehören meiner Meinung nach zur Social Media-Hölle – ich picke für diesen Blogbeitrag mal einen raus. Beim Facebook-Auftritt von Focus Online Politik gewinnt der mutige Kommentarleser bereits nach ganz kurzer Zeit den Eindruck, als wäre dieser Kanal praktisch vollkommen unmoderiert, denn dort wird ohne Hemmungen gehasst, gedisst und gedroht – doch das alles dürfte laut eigener Netiquette gar nicht geschehen!

Hierfür gibt es zwei mögliche Erklärungsansätze:

  • In der Social-Media-Redaktion von Focus arbeiten viel zu wenige Menschen, die brutal überfordert sind mit der Pflege der vielen Kanäle dieser Zeitschrift. Hier werden die Inhalte einfach nur gepostet, eine anschließende Betreuung ist nicht möglich.
  • Das Leitmotiv dieser Redaktion lautet “Viel hilft viel!”: Viele Clickbaiting-Überschriften mit provozierender Tonalität sorgen für viele Kommentare -> viele Kommentare sorgen für viel Reichweite -> viel Reichweite sorgt für viel Klingeling in der Kasse.

Ein Kessel voller GeldDa die journalistische Qualität der Beiträge des Focus nicht erst seit gestern zu wünschen übrig lässt, liegt Version B sehr nahe: Hier werden umstrittene Themen mit Berechnung so aufbereitet, dass sie möglichst umfassend polarisieren und die Emotionen hochkochen lassen. Die Kommentarstränge werden dann absichtlich nicht moderiert. Vielleicht denken die Verantwortlichen folgendes: “Sollen sich die Leute doch verbal die Köpfe einschlagen, jeder Kommentar ein Treffer! Diese Interaktionsrate ist ein echter Knaller! Yeah, was haben wir heute wieder Kohle gemacht, prima. Schampus für alle!” Falls sich doch noch so etwas wie ein Gewissen in der Chefetage regt, könnte die Gedankenkette munter weiter gehen: “Ach, da wurden wieder Leute mit dem Tod bedroht? Der Holocaust geleugnet? Frauen gleich mehrfach Vergewaltigungen gewünscht? Uns doch egal, sollen die Betroffenen das doch an Facebook melden. Die sind schließlich Betreiber der Plattform, also sollen die sich auch kümmern!”

Jede Interaktion erhöht die Reichweite. Auch ungewollt.

Ende 2016 kam die tolle Facebook-Initiative #ichbinhier* ins Spiel – eine Gruppe engagierter Menschen, die sich auf den Fanpages großer Magazine und Zeitschriften dem Hatespeech mit Sachargumenten entgegen stellen. Eine wirklich großartige Idee! Doch die Chefetage von Focus könnte wieder die Korken knallen gelassen haben: “Nun gibt’s da ja noch diese neue Initiative – die mischen sich ein und halten Gegenreden zum Hass! Super, noch mehr Interaktion durch die Counterspeecher! Und wir müssen nun wirklich gar nix mehr tun, nur noch kassieren – die machen die Arbeit schon für uns!” Denn von der aktiven Gegenrede profitieren natürlich auch Höllen-Redaktionen, schließlich steigt mit jeder Interaktion die Reichweite des Postings. Im Resultat bedeutet das: Je mehr Leute in den Kommentarsträngen schreiben, um so mehr Menschen bekommen das Ursprungsposting auf Facebook zu sehen.

Social Media-Redaktionen großer Massenmedien, die in diesem “Stil” arbeiten, handeln aber meiner Meinung nach aus noch mehr Gründen unverantwortlich:

  1. Sie kommen ihrem gesellschaftlichen Auftrag nicht nach.
    Massenmedien haben immer auch eine soziale Funktion: Sie sind Teil unserer Sozialisierung, da sie im Idealfall Hintergrundwissen und Orientierung bieten. Außerdem wirken sie integrativ, denn sie sollten in unserer vielfältigen Gesellschaft allgemein anerkannte Verhaltensweisen und Normen vermitteln.
  2. Sie halten den Pressekodex nicht ein.
    Im Pressekodex werden journalistisch-ethische Grundregeln gesammelt, zum Beispiel zu den Themen Sorgfalt, Wahrhaftigkeit, Diskriminierung oder Berichterstattung über Straftaten. Verleger und Journalisten haben diesen Grundsätzen durch Ihre Verbände zugestimmt.
  3. Sie verdienen mit widerwärtigen Methoden Geld.
    Clickbaiting mit Überschriften, die mit dem Inhalt eines Artikels nichts zu tun haben, diesen übermäßig skandalisieren oder missverständlich sind, sollten in allen seriös arbeitenden Redaktionen tabu sein. Da es offensichtlich nicht so ist, muss Facebook in Sachen Algorithmus dringend nacharbeiten!

Nun könnte man natürlich argumentieren, dass die Leser selbst schuld sind, wenn sie auf derartigen Mist wie den oben beschriebenen hereinfallen, klar. Aber mal Hand aufs Herz: Wie oft haben sogar wir, die wir in Social Media arbeiten, schon gefälschte Nachrichten oder astreine Propaganda geteilt? Mir ist das auch schon passiert, obwohl ich mir wirklich Mühe gebe, alles genau zu lesen und im Zweifelsfall auch den Wahrheitsgehalt einer Meldung zu überprüfen. Ich habe für mich persönlich sogar Regeln entwickelt, wie ich in Social Media handeln möchte – und trotzdem bin ich schon übler Propaganda aufgesessen. Wie sollen das dann Leute hinkriegen, die nicht so viel Erfahrung im Web haben? Leute, die tatsächlich glauben, dass alles, was auf Facebook veröffentlicht wird, auch “wahr” ist? Frauen und Männer, die nicht verstehen, dass ihr Verhalten von Facebook permanent ausgewertet wird und ihnen dort nach ganz kurzer Zeit nur noch Inhalte zugespielt werden, die sie am meisten triggern und so zu Interaktionen verleiten? Menschen, die nicht wissen, dass eine solche Höllen-Redaktion alle Möglichkeiten des Geldverdienens nutzt – ohne Rücksicht auf Verluste? Die in diesen schnelllebigen Zeiten nur noch Zeit für eine Überschrift haben und Artikel ungelesen teilen?

Pragmatische Lösungen müssen her. Und zwar schnell.

“Dieses” Internet gibt es nun seit mehr als einem Vierteljahrhundert. So richtig klappt das aber bis heute nicht mit der Wissensvermittlung rund um dieses mächtige Tool. Deswegen brauchen wir meiner Meinung nach:

Mehr Medienbildung für Lehrer und Lehrerinnen: 
Wenn ich mich mit meinen Nichten und Neffen oder den Kindern meiner Freunde darüber unterhalte, was sie in der Schule über das Internet lernen, wird mir angst und bange: Da warnen Lehrer die Kids zwar vor Kinderschändern und Propaganda, vermitteln ihnen aber nicht konsequent das Wissen und Handwerkszeug, mit dessen Hilfe die Kinder und Jugendlichen derartige Gruseligkeiten erkennen und sich wehren könnten.

Mehr Medienbildung für alle: 
Selbst die meisten Erwachsenen sind meiner Meinung nach mit den schier unendlichen Möglichkeiten des Internets überfordert. Es gibt kaum Kurse, in denen man den Umgang mit diesem digitalen Weltwissen lernen, Recherche-Methoden üben oder testen kann, wie man sich gegen Hater und Disser wehrt.  Doch das Schlimmste ist: Es gibt auch keine öffentlich sichtbare Diskussion darüber, dass wir hier ein riesiges Problem haben!

Mehr soziale Bildung für alle: 
Ich wünsche mir, dass wir im Zuge des derzeitig stark wachsenden Engagements gegen Hatespeech, Lügen und Propaganda auch anfangen, darüber zu diskutieren, WIE wir alle miteinander umgehen wollen. Wertschätzend und produktiv? Wollen wir einander ernst nehmen und wirklich miteinander sprechen? Oder machen wir einfach weiter wie bisher mit viel Ignoranz und Geringschätzung – im Kleinen auf Facebook und im Großen in der Politik?

Das sind bestimmt nicht alle Punkte, an denen unsere gesamte Gesellschaft Nachholbedarf hat – es gibt ganz bestimmt ganz viel mehr. Doch ich bin ja chronische Optimistin und sehe immer die Chancen hinter einem Problem ;-) Lasst uns weiter darüber nachdenken, was wir tun können. Und natürlich aktiv weiterarbeiten an den Dingen, die jetzt schon laufen. Um dieses Internet zu schützen, das auch so viel Großartiges zu bieten hat.

Für eine aufgeklärte Welt, die ohne Hass und Lügen auskommt.

Für produktive Diskussionen, die ohne Beschimpfungen und Drohungen funktionieren.

Danke.

* Heute, am 19. Februar 2017, habe ich die Gruppe #ichbinhier verlassen. Ich finde die Idee nach wie vor gut, aber die Art der Umsetzung widerspricht meinen Vorstellungen von einem fairen, transparenten und konstruktiven Engagement.


 

Bildquellenangabe: pixabay

Christa GoedeDu suchst Texte, Websites und Workshops ohne Werbe-Blabla? Prima, du hast mich gefunden! Gemeinsam mit dir entwickele ich deinen authentischen Markenauftritt, der zu deinem Unternehmen und deinen Zielgruppen passt.
Du möchtest lieber viel selbst machen? Nutze meine Workshops als Rampe zum Durchstarten.

  +49 160 94 441 934   mail@christagoede.de

4 Kommentare zu „Die Social Media-Hölle“

  1. Alexandra Dieringer

    Sehr geehrte Frau Goede
    über viele Umwege/Klicks kam ich durch Zufall auf Ihre Seite und somit auf Ihren Blog :)
    Großes Kompliment, sehr lesenswert. Selber war ich über dreißig Jahre im Einzelhandel an der Front, sowohl im Verkauf als auch im Management tätig und interessierte mich ab Stunde Null für die sozialen Medien. So ist auch Facebook einer meiner Favoriten. Letztes Jahr bildete ich mich über die ILS HH zum Social Media Manager weiter. Bezugnehmend auf Ihren Bericht “Die Social Media Hölle” kann ich nur bestätigen, dass es einigen an Netiquette fehlt. Ich denke, ein großes Problem ist es heute im Netz, dass sich die Menschen hinter der sogenannten Anonymität verstecken und denken, sie können sich alles leisten und leider, wie sie ja auch bestätigen, scheint es die Gegenseite, in diesem Fall einige Print-und Onlinemedien, nicht zu interssieren und erfreuen sich am , ich nenne es Social Battlefield. Dem entgegen zu steuern bedarf es Menschen mit hoher Empathie und Diplomatie, die Diskussionen im Netz leiten, kommentieren und auch entgegenwirken. Diese Eigenschaften sind auch ein enormer Bestandteil im Miteinander meiner Berufssparte. Leider wird das in Stellenanzeigen für Social Media und Community Manager nicht wirklich berücksichtigt, wie ich zur Zeit immerwieder feststelle.
    Nichts desto trotz, ich finde Ihren Blog sehr lesenswert und informativ und möchte Ihnen auf diesem Weg danken für ihre Zeit und ihr Knowhow, welches sie hier investieren.
    MfG
    Alexandra Dieringer

    1. Hallo Alexandra Dieringer,

      erst mal danke für das tolle Feedback ;o) Und ja, es stimmt – es fehlt an Empathie. Doch das ist meiner Meinung nach ein Phänomen, dass nicht typisch für Social Media ist, sondern typisch für die Zeiten, die wir gerade habe. Ein Gegenmittel könnten Leute sein, die dieser Entwicklung engagiert und couragiert entgegentreten. Gut wäre, wenn die Gesetzgebung diese Menschen unterstützen würde – in dem zum Beispiel Anzeigen schnell bearbeitet werden und die Provider dazu verdonnert werden, bei strafrechtlich relevanten Postings schnell die IP-Adressen rauszugeben. Insgesamt ist das aber wohl ein vielschichtiges Problem, dass uns noch viele Jahre begleiten wird – auch uns Social Media-Manager. Counterspeech sollte deshalb zum Handwerkszeug jedes Menschen werden, der in dieser Branche arbeitet. Just my 2 Cents.

      Einen tollen Tag wünscht
      Christa

  2. Ich würde dem noch hinzufügen:
    Wir brauchen dringend Ethik als Pflichtfach bereits ab der Grundschule und später in allen Schulzweigen – und zwar von wirklich dafür ausgebildeten Lehrkräften.
    Natürlich liegt die Hauptverantwortung für die charakterliche Bildung von jungen Menschen bei den Eltern. Leider ist aber festzustellen, dass diese dort heute mehr und mehr nicht mehr wahrgenommen und der persönliche Egotrip an die Kinder tradiert wird. Da eine Vermittlung freiheitlich demokratischer Grundwerte einschließlich des Anstandes aber im dringenden Interesse des Gemeinwesens, der Gesellschaft, liegt, muss hier meiner Meinung nach der Staat über die Schulen das übernehmen, worin die Eltern versagen. Alles andere macht mir persönlich Angst, was die Zukunft unserer Gesellschaft angeht.

    1. Hallo Katja,

      guter Punkt! Ich glaube auch, dass wir ALLE verantwortlich sind für die Art und Weise, wie unsere Gesellschaft tickt. Man kann die Verantwortung nicht nur an die Schule oder nur an die Lehrer oder nur an die Peergroup schieben. Doch leider sind Fairness, Rücksichtnahme und Empathie keine attraktiven Eigenschaften nach der kapitalistischen Verwertungslogik – also geraten sie ins Hintertreffen. Mit den bekannten Konsequenzen.

      Liebe Grüße sendet
      Christa

Kommentar verfassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Nach oben scrollen